Neuverschuldung Grenzen setzen: Berliner Zahlenspiele
Nach der Gesundheitsreform versucht Merkels Koalition nun mit weniger Schulden beim Haushalt Stimmung für sich zu machen. Doch die Umfragewerte werden nochmals schlechter.
BERLIN Es ist eine Aufholjagd gegen schlechte Zahlen und schlechte Stimmung: Nach der mit Ach und Krach ins Ziel gebrachten Gesundheitsreform versucht Schwarz-Gelb nun mit dem nächsten Finanzprojekt Boden gut zu machen. Gestern verabschiedete die Koalition ihren ersten Sparhaushalt. Es ist der verzweifelte Versuch, der galoppierenden Neuverschuldung Grenzen zu setzen.
Noch immer sieht das Zahlenwerk gigantische 57,5 Milliarden Euro neue Schulden vor – doch das gilt bereits als Erfolg. Nach den 65 Milliarden im laufenden Jahr kann Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zumindest auf eines stolz sein: 2011 gibt es nach den bisherigen Zahlen keinen Schuldenrekord.
Entsprechend voll nahmen die Koalitionsgrößen gestern den Mund. Ganz vorne: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Es handele sich um den „Beginn einer Zeitenwende“, tönte der FDP-Politiker. Bisher sei viel übers Sparen geredet worden. Jetzt fange Schwarz-Gelb „wirklich“ damit an, so Brüderle. Und das „konsequent, intelligent und fair“.
Das sieht die Opposition etwas anders. „Gespart wird bei den sozial Schwachen“, stänkerte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Auf Rentner und Arbeitslose kämen neue Härten zu, während die Mehrwertsteuergeschenke für Hoteliers unangetastet blieben.
Unstrittig ist, dass es Schäuble erstmals nach sechs Jahren wieder geschafft hat, die staatlichen Ausgaben zu senken. Die Reduzierung um 12 Milliarden auf 307 Milliarden wird schon durch die neue Schuldenbremse erzwungen. Dieses im Grundgesetz verankerte Instrument begrenzt ab sofort die zulässige Neuverschuldung.
Der Schuldenabbau wird für 2011 durch mehrere, teils umstrittene Einsparungen erreicht. Dazu gehören:
Abbau bei Energiesteuervergünstigungen: 1 Milliarde.
Flugbenzinabgabe: 1 Milliarde.
Brennelementesteuer: 2,3 Milliarden.
Streichung des Rentenzuschusses für Langzeitarbeitslose: 1,8 Milliarden.
Einsparungen beim Elterngeld: 0,6 Milliarden.
Verschiebung des Neubaus des Berliner Stadtschlosses: 0,1 Milliarden.
Doch das Zahlenwerk enthält auch wacklige Punkte: So wird die Neuverschuldungsgrenze nur eingehalten, weil aus einer bisher als Zuschuss gezahlten Milliardensumme an die Arbeitsagentur nun ein Darlehen wird. Hoch umstritten ist auch der Umgang von Schäuble mit den zu erwartenden Kosten durch das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Für die von Karlsruhe verlangte Neuregelung der Zahlungen insbesondere für Kinder stellt Schäuble jährlich nur 480 Millionen Euro bereit – obwohl Experten das für zu wenig halten.
Nach wie vor machen der Berliner Koalition auch ganz andere Zahlen zu schaffen: die aus Umfragen. Forsa ermittelte gestern, dass es keinerlei Durchstarteffekt für Schwarz-Gelb gibt: Die FDP verharrt mit vier Prozent unterhalb der entscheidenden Hürde für den Parlamentseinzug. Die Union verliert einen Prozentpunkt und liegt bei 31. Günstiger die Zahlen für die Opposition: SPD 27, Grüne 18, Linke 12. SPD-Mann Oppermann ätzte unter Anspielung auf die Nationalmannschaftsdebatte: „Die Kanzlerin kämpft um die Kapitänsbinde“. Frank Müller