Neue Pflegereform: Mehr Leistung, höhere Beiträge

Der Bundestag hat die zweite Stufe der Pflegereform auf den Weg gebracht. Durch die Änderung werden die Rechte dementer Patienten und psychisch Kranker gestärkt.
Verena Lehner |
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München - Bis zu 1,6 Millionen Menschen in Deutschland sind an Demenz erkrankt. Bis 2050 könnte sich die Zahl verdoppeln. Für Angehörige ist es zum Teil schwieriger, mit Demenz von Vater oder Mutter umzugehen als mit körperlichen Gebrechen. Pflegebedürftigkeit musste also neu definiert und Leistungen für Patienten und betreuende Angehörige neu bemessen werden. Der Bundestag verabschiedete dazu am Freitag die zweite Stufe der Pflegereform von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU): das zweite Pflegestärkungsgesetz.

Gröhe rief auch dazu auf, die Arbeitsbedingungen in der Pflege attraktiver zu machen, um mehr Personal zu gewinnen. Bis Ende 2016 sollen die Pflegesätze und die Pflegepersonalstruktur neu verhandelt werden.

Kernpunkte der Reform: Zentraler Punkt ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, der unter anderem Demenzkranken und psychisch kranken Menschen künftig Anspruch auf die gleichen Leistungen einräumt wie Menschen mit körperlichen Behinderungen. Künftig soll entsprechend nicht mehr nur der Zeitaufwand für Pflege – Waschen, Anziehen, Essen und Ähnliches – berücksichtigt werden, sondern auch die Frage, wie weit ein selbstbestimmtes Leben noch möglich ist oder wie weit Alltagskompetenzen der Betroffenen eingeschränkt sind.

Die neuen Pflegestufen: Die bisherigen Pflegestufen I bis III werden mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes durch die Pflegegrade I bis V ersetzt, um die Bewertung von Pflegebedürftigkeit besser auf den Einzelfall zuschneiden zu können. Dadurch kann etwa die Pflegeversicherung früher greifen. Mit dem Pflegegrad I werden mehr Menschen erreicht, die bisher noch keine Unterstützung erhalten haben, etwa wenn eine Wohnung barrierefrei umgebaut werden soll. Schätzungen zufolge werden durch die Reform bis zu 500 000 Menschen zusätzlich Pflegeleistungen erhalten.

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Bei Pflegeheimbewohnern der Grade II bis V wird geregelt, dass bei steigendem Pflegebedarf niemand einen höheren Eigenanteil befürchten muss. Eingeführt wird auch ein neues Begutachtungssystem für die Einteilung in Pflegestufen: Ausgangspunkt sind hier die Fähigkeiten, nicht die Defizite des Patienten.

Pflegende Angehörige: Das neue Gesetz soll auch das private Engagement stärken – vor allem in der Familie. Menschen, die einen Angehörigen pflegen, sollen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert werden. Wer zur Pflege aus dem Beruf aussteigt, erhält Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und höhere Rentenansprüche.

Die Kassen müssen außerdem kostenlose Pflegekurse anbieten. Macht eine Pflegeperson Urlaub oder ist sie durch Krankheit an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegeversicherung die Kosten für eine Ersatzpflege. Bereits seit dem 1. Januar ist eine Ersatzpflege bis zu sechs Wochen pro Jahr möglich. Diese Ersatzpflege können auch Angehörige übernehmen.

Die Finanzierung: Mit dem ersten und zweiten Pflegestärkungsgesetz ist jeweils eine Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung verbunden. Zum 1. Januar stieg er von 2,05 Prozent auf 2,35 Prozent. Ab 2017 kommt eine weitere Steigerung um 0,2 Punkte auf 2,55 Prozent (dann 2,8 Prozent für Kinderlose). Beide Erhöhungen bringen zusammen fünf Milliarden Euro. Die Beiträge sollen dann bis 2022 stabil bleiben. Allerdings muss Gröhe einmalig zusätzlich 4,4 Milliarden Euro in die Hand nehmen, damit Pflegebedürftige bei der Überleitung in das neue System nicht schlechter gestellt werden. Das Geld kommt aus den Rücklagen der Pflegeversicherung, die Mitte des Jahres bei 6,6 Milliarden Euro lagen.

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Beratung: Pflegekassen werden zur Beratung von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen über deren Möglichkeiten verpflichtet. Im Zuge der Reform soll auch der sogenannte Pflege-TÜV für Pflegeeinrichtungen neu geregelt werden, weil die bisherigen Pflege-Noten wenig aussagekräftig waren.

Kritik: Die Linkspartei stimmte gegen das Gesetz. Die Pflegepolitikerin der Partei, Pia Zimmermann, kritisierte, dass Verbesserungen für Demenzkranke auf Kosten der Personen in den unteren Pflegegraden gingen. Auch Elisabeth Scharfenberg (Grüne) kritisierte, dass die Reform mehr verspreche, als sie halten könne. Es fehle vor allem Zeit für Pflege.

Das neue Pflegegesetz ist auch bei Patienteschutzverbänden umstritten. Nach Darstellung der Deutschen Stiftung Patientenschutz erhalten von 2017 an neue Antragsteller, die ins Pflegeheim müssen, deutlich weniger Geld von der Pflegekasse. Nach Berechnungen von Stiftungsvorstand Eugen Brysch erhalten Pflegeheimbewohner mit Pflegestufe I derzeit 1064 Euro. Künftige Heimbewohner bekommen im neuen Pflegegrad II dann nur noch 770 Euro. Der Eigenanteil werde somit steigen.

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