Rechtsruck in Bayern: AfD und Freie Wähler fahren 2023 Rekordergebnisse ein
München - Es ist Anfang Juni, als Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) auf einer von der Kabarettistin Monika Gruber mit initiierten Kundgebung gegen das Heizungsgesetz der Ampel-Regierung einen Satz sagt, der Demokraten das Blut in den Adern gefrieren lässt.
"Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss und denen in Berlin sagen: Ihr habt's wohl den Arsch offen da oben", ruft er in Erding vor 13.000 Menschen ins Mikrofon.
Söders Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger überstand mehrere Skandale
Als gäbe es die Demokratie in Deutschland nicht mehr – und als sei der bayerische Wirtschaftsminister keiner von "denen da oben". Doch Aiwangers Populismus schreckt nicht ab: Am Ende dieses Landtagswahl-Jahres ist der Freistaat politisch ein deutliches Stück nach rechts gerückt, die AfD stärkste Oppositionsfraktion, und die Freien Wähler haben – trotz eines weiteren, gravierenderen Skandals um ihren Chef – ein Ministerium hinzugewonnen.
Das zweite Vorkommnis wird als "Flugblatt-Affäre" in die Annalen eingehen: Im August enthüllt die "SZ", dass Aiwanger als 17-Jähriger am Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg mit einem üblen antisemitischen Flugblatt im Ranzen erwischt und dafür auch bestraft worden ist. Die Zeitung gibt Aiwanger vor Veröffentlichung des Artikels die Möglichkeit zu einer Reaktion. Der Freie-Wähler-Chef lässt über einen Sprecher mitteilen, er habe das Flugblatt "nicht produziert".
Am Tag nach der Veröffentlichung der Vorwürfe behauptet dann Aiwangers älterer Bruder Helmut, er habe das judenfeindliche und rechtsextreme Pamphlet verfasst. Was dann folgt, ist für viele der eigentliche Tiefpunkt.
Denn während Aiwanger erst sehr spät und auf Druck sein Bedauern über die Geschehnisse vor 30 Jahren ausdrückt, inszeniert er das Narrativ von einer Hexenjagd und stilisiert sich selbst zum Opfer: Medien und Grüne wollten ihm so kurz vor der Landtagswahl schaden.
Freie Wähler fuhren bestes Wahlergebnis der Geschichte ein
Das Entsetzen nicht nur in der jüdischen Gemeinschaft ist groß. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, weigert sich, Aiwangers Entschuldigung anzunehmen. Rücktrittsforderungen werden laut. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert von Aiwanger die schriftliche Beantwortung eines Fragenkatalogs - und hält am Ende an seinem Stellvertreter fest.
Bei Teilen der Bevölkerung scheint Aiwangers Darstellung allerdings zu verfangen. Als die Menschen im Freistaat am 8. Oktober den 19. Bayerischen Landtag wählen, fahren die Freien Wähler ein Rekord-Ergebnis von 15,8 Prozent ein, das beste ihrer Geschichte.
Die AfD punktet ebenfalls und wird mit 14,6 Prozent der Stimmen Oppositionsführerin. Die CSU (37,0) muss Federn lassen – genau wie die Ampelparteien Grüne (14,4) und SPD (8,4). Die Freien Demokraten fliegen mit 3,0 Prozent der Stimmen gar aus dem Landtag. In der Folge erhalten die Freien Wähler ein viertes Ressort – und die CSU ringt ihnen in der Präambel des Koalitionsvertrages ein klares Bekenntnis zur Demokratie ab.
Anfang 2024 Jahres könnte sich das Kräfteverhältnis im Landtag allerdings erneut verändern, diesmal in die andere Richtung: Der AfD-Landesvorstand prüft einen Parteiausschluss des Abgeordneten David Halemba, der sich auf die Wahlliste getrickst haben soll (was er bestreitet). Sollte der 22-Jährige Partei und Fraktion verlassen müssen, wären nicht mehr die Rechtspopulisten stärkste Oppositionsfraktion - sondern wieder die Grünen.