"Neue Männer braucht das Land": Ist ein neues Rollenbild durch den Krieg nötig?
München – Das Publikum lauscht dem Gespräch, das lediglich vom sanften Klirren des Bestecks auf Porzellantellern begleitet wird. Auf mehrstöckigen Serviergeschirren liegen Macarons, Johannisbeeren und andere kleine Häppchen. Zwischen den Cafétischen eilen Kellner hin und her, um etwa Paellas oder Weißwein und Bier zu reichen.
Das friedfertige Ambiente will nicht so recht zu dem passen, was Schriftsteller Matthias Politycki auf der Bühne, eingerahmt von zwei Palmen, sagt: "Viele sehnen sich nach Männern, die Aggression abwehren können." Den ganzen Abend geht es um Gewalt, Wehrhaftigkeit, Männlichkeit – im Schatten einer neuen Weltlage.

Philosoph Wilhelm Vossenkuhl und SZ-Journalistin Meredith Haaf diskutieren über Polityckis neues Buch "Mann gegen Mann: Von alten und neuen Tugenden" im Salon des Café Luitpold an der Brienner Straße. Doch es ist vor allem Politycki, der redet. Etwa vom "gebändigten Mann" und "mutlosen Schlappschwänzen", hervorgebracht vom sicheren Westen. Seine Forderung: "Wir brauchen Männer, die sich traditionellen Rollenbildern bedienen."
Der Mann verteidigt westliche Errungenschaften
Kurzum: Eine neue alte Männlichkeit, die zwar weiterhin emanzipiert sei, aber auch gewaltbereit. Natürlich nur zur Abwehr von anderer Gewalt – Wehrhaftigkeit nennt er das. "Neue Männer braucht das Land", sagt Politycki. "Nicht zuletzt verteidigt der Mann Errungenschaften unserer westlichen Diskurse." Argumente reichten nicht mehr aus.
Er selbst sieht sich als Teil der politischen Linken. Habe damals den Kriegsdienst verweigert. Doch jetzt befänden wir uns in einer Zeitenwende: "Das Ende von etwas, der Anfang von etwas." Von nun an dominiere die Sorge, was von unseren Werten und diversen Lebensformen demnächst noch zu bewahren sein werde.
Er ist der Ansicht, man werde nicht als Mann geboren, sondern "man wird es vielleicht". Es sei etwas, das jeden Tag aufs Neue erarbeitet werden müsse. "Der Mann muss jederzeit bereit sein, Mann sein und seine Schutzfunktion ausüben zu können", sagt Politycki.
Haaf fragt daraufhin: "Wo sehen Sie da die Frauen?" Politycki erwidert: "Es gibt sehr robuste Frauen, die haben auch mich in Schutz genommen." Für ihn seien da die Grenzen fließend. Dennoch habe er einen "Kernbegriff von Männlichkeit". Den definiert er den Abend über zwar nicht. Klar wird trotzdem: Es geht ihm vor allem um die Beschützerrolle.
Helmut Schmidt gegen Trump, Putin und Xi
Im zweiten Teil der Veranstaltung, als das Publikum Fragen stellen darf, will ein Mann wissen, wer diese Rolle in der europäischen Führung einnehmen könne, um Trump, Putin und Xi standhalten zu können.
Für Politycki wäre das Helmut Schmidt gewesen. "Er war immer glaubhaft in seiner Sprache und hat sich immer wieder zu einer Haltung durchgerungen - auch gegen Widerstände." Auch Macron könnte diese Rolle einnehmen. Aus dem derzeitigen Deutschland falle ihm jedoch keiner ein.
Ein anderer Mann fragt, warum überhaupt Trump, Musk und dergleichen Männlichkeiten propagieren, obwohl sie in gar keiner Notlage seien. Politycki sieht die Schuld bei der Linken und ihren Denk- und Sprechverboten. Zustimmung aus dem Publikum: Zu lange sei Gewalt tabuisiert worden, sagt ein weiterer Mann.
Für Politycki ist deswegen klar: "Da hat sich etwas Luft gemacht, was Jahrzehnte lang verdrängt wurde. Ich hatte dauernd mit solchen Männern zu tun." Die Trumps, Putins, Xis dieser Welt sind demnach nie weg gewesen.
Die neue alte Männlichkeit soll das kontern. Den jungen Männern auch wieder Halt geben, über die Zuhörer den Abend über immer wieder berichten.
Philosoph Vossenkuhl weist zugleich darauf hin, dass 700.000 Ukrainer nicht in den Kriegsdienst eintreten wollen. Journalistin Haaf ergänzt, dass die USA seit Jahren Schwierigkeiten hätte, neue Soldaten zu rekrutieren. Auch Russland müsse durch Zwang mobilisieren. "Die Menschen dieser Gesellschaften wollen eigentlich keinen Krieg führen, wollen sich gar nicht wehren und kämpfen müssen", sagt Haaf.