Neue Ehrlichkeit und depressive Stimmung: Horst Seehofer und die CSU
Erst kommt die gesalzene Predigt der Geistlichen, dann die Strafe der CSU-Basis: Der Vorsitzende Horst Seehofer muss auf dem Nürnberger Parteitag für seinen ruppigen Führungsstil büßen. Umjubelt wird dagegen der neue Hoffnungsträger: Karl-Theodor zu Guttenberg.
NÜRNBERG Hätte er sich nicht ein anderes Gleichnis aussuchen können, als er den CSU-Parteitag eröffnet? Musste es das Kapitel 32 aus dem 1. Buch Moses sein? „In jener Nacht stand Jakob auf und nahm seine beiden Frauen...“, beginnt der katholische Prälat Peter Beer seine geistlichen Worte. Ein Ruck geht durch die Delegierten. „Geil“, entfährt es Reserl Sem, der Landtagsabgeordneten aus Niederbayern. Grinsend reckt sie den Daumen nach oben. Ein Volltreffer. Neben ihr flüstert einer: „Dem geht’s gut, genau so wie dem Seehofer.“
Da ist sie wieder in den Köpfen, die Diskussion über Horst Seehofers Doppelleben. Dabei geht es doch in dem Gleichnis vor allem um den Streit Jakobs mit Gott. „Offener und konstruktiver Streit ist etwas Wichtiges“, will der Stellvertreter des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx der CSU an diesem Wochenende in der Nürnberger Messe predigen. Seehofers Privatleben habe er damit nicht gemeint, versichert der Geistliche danach und rechtfertigt sich: „Ich kann das Wort Gottes nicht ändern für alle möglichen Interpretationen, kann kein eigenes Gedicht draufsetzen.“
Auch sein evangelischer Kollege Dieter Breit feuert eine Breitseite auf Seehofer ab: „Inszenierte Demut ist bekanntlich eine besondere Form des Buhlens um Popularität.“ Andächtig hängen die Delegierten an den Lippen der Priester, hören ihnen mehr zu als der Kanzlerin und dem CSU-Chef.
„Die geistliche Worte regen dazu an, das eigene Tun zu hinterfragen“, sagt der Münchner Rathaus-Fraktionschef Seppi Schmid ergriffen.
Seehofer ist beleidigt.
Mit einer Demutsrede dienert Seehofer sich an. „Mir ist nicht so wichtig, ob ich im Ranking oben oder unten bin“, säuselt er. Er denke nur an die CSU: „Glaubt mir, mir geht’s um den Erfolg.“ Um Verständnis bittet er, nicht aber um Vergebung: „Wenn man hart zu sich selbst ist, eisenhart“, bringe man vielleicht nicht immer genug „Diplomatie, Einfühlungsvermögen oder auch Zeit“ für die anderen auf.
Die Delegierten lässt das Geschmuse kalt. Sie erteilen Seehofer eine Lektion: Mit gerade mal 88 Prozent bestätigten sie ihn im Amt. Und die sind schöngerechnet: Die ungültigen Stimmen werden nicht mitgezählt. Sonst wären es nur 85 Prozent für Seehofer. Noch vor einem Jahr hatte er 90,3 Prozent erreicht. Aber da kannten sie ihn noch nicht.
Seehofer ist wie paralysiert. Er schweigt, ist beleidigt. Ein solches Ergebnis bei der CSU tut weh. Die Stimmung ist eigenartig depressiv. Edmund Stoiber sitzt wortlos neben ihm, legt seine Stirn in tiefe Falten. Der neue Ehrenvorsitzende Theo Waigel redet beruhigend auf ihn ein: „Das ist ein ehrliches Ergebnis.“ Das sagt Seehofer auch, als er sich wieder gefasst hat. Er fügt trotzig hinzu: „Und ein gutes.“
Auch seine vier Vizes bekommen die neue Ehrlichkeit der Basis zu spüren. Landtagspräsidentin Barbara Stamm schneidet mit 86 Prozent noch am besten ab. Landesgruppenchef Peter Ramsauer schafft nur 79 Prozent. Justizministerin Beate Merk und EU-Experte Ingo Friedrich landen bei 73 Prozent.
Nächträgliche Liebe zur Rente
Vielleicht ist das die Quittung für ihren Schalmeien-Auftritt beim faden Delegiertenabend, der eine nachträgliche Geburtstags-Party für Seehofer sein sollte. Das Vize-Quartett beweihräuchert ihn, als sei man in Nordkorea. Nach dem Essen verdrücken sich alle vom Ehrentisch, sogar Ehefrau Karin seilt sich zu Freunden ab. Seehofer bleibt alleine sitzen. Geliebt wird er nicht, das räumt er ein: Ihm sei Respekt wichtiger. Liebe komme vielleicht im Nachhinein, wenn er in Pension sei und sich herausstelle, dass er doch recht gehabt habe.
Zu Füßen liegen die Delegierten einem anderen: Stimmenkönig bei den Vorstandswahlen wird ein Kronprinz. Mit 95 Prozent belohnen sie Karl-Theodor zu Guttenberg – für glaubhafte Demut und Standhaftigkeit, sie feiern ihn wie einen Popstar. Konkurrent Markus Söder dagegen muss Federn lassen (56 Prozent), wegen seines Öko-Kurses. Am Ende gibt sich Seehofer trotzig, verabschiedet sich grinsend: „Das Leben ist trotzdem schön.“
Angela Böhm