"Nationalismus schadet jedem": Manfred Weber spricht über die EU und die Ziele der CSU in Brüssel

AZ: Herr Weber, es heißt, die Europawahl im Juni wird für die CSU eine ganz besonders große Herausforderung. Sehen Sie das auch so?
MANFRED WEBER: Für mich ist sie eine große Chance, die Menschen von der Europäischen Union zu überzeugen. Bayern profitiert massiv von der EU. Wir sind in der Mitte von Europa. In Zeiten von Stürmen und Kriegen um uns herum ist mit der EU das Versprechen verbunden, in Frieden leben zu dürfen. Das gilt es zu erhalten und zu verteidigen.
EVP-Chef Manfred Weber: "Menschen von der Europäischen Union überzeugen"
Bei der vergangenen Europawahl waren Sie Spitzenkandidat aller christlich-konservativen Parteien in Europa, verbunden mit der Perspektive, EU-Kommissionspräsident zu werden. Dieser Erwartung konnten Sie nicht gerecht werden. Ist das eine Hypothek für den jetzt anlaufenden Europawahlkampf der CSU?
Das Scheitern des Spitzenkandidatenmodells war 2019 eine schwere Niederlage für die europäische Demokratie. Aber ich gehöre zu denen, die sagen: Wenn man eine Niederlage erleidet, muss man aufstehen und weiter kämpfen. Europa ist nicht perfekt, aber durch die Stärkung demokratischer Kräfte durch das Wahlergebnis kann jeder Europa besser machen.
Spüren Sie die Enttäuschung Ihrer bayerischen Wähler, dass keiner der Ihren Kommissionspräsident geworden ist, wie in Aussicht gestellt?
Ich spüre die Enttäuschung. Ich verstehe sie am besten, weil ich der Hauptbetroffene war. Aber Niederlagen dürfen nicht dazu führen, dass man liegen bleibt, sondern man muss aufstehen und weiter kämpfen. Ich bin überzeugter Europäer und glaube, dass es nur ein demokratisches Europa geben kann.

Die CSU will in Brüssel Einfluss und "Mitgestalten"
Es gibt bei der Europawahl für die CSU viel Konkurrenz, die auf diesselbe Wählerklientel abzieht: die Freien Wähler, die AfD und womöglich auch noch die Wagenknecht-Partei. Wie werden Sie damit umgehen?
Es gibt nur eine Partei, die die bayerische Stimme in Brüssel ist: Als CSU haben wir in allen Regierungsbezirken starke Mandatsträger. Wer ein starkes Bayern in Brüssel will, muss CSU wählen. Bei den Freien Wählern kommt der zweite bayerische Kandidat auf Platz sieben, weil sie eine bundesweite Liste aufstellen. Das heißt: Wer bayerische Interessen in Brüssel absichern will, ist aufgerufen, CSU zu wählen. Das ist unsere Hauptbotschaft: Einfluss zu haben und zu gestalten – und nicht nur Europa bewerten und kommentieren.
Befürchten Sie EU-weit einen rechtspopulistischen Ruck bei den Europawahlen?
Wir leben in einer Zeit extremer und fundamentaler Veränderungen, die viel Unsicherheit verursachen. Ich habe durchaus Sorge, dass diejenigen, die einfache Lösungen anbieten, die Europawahl missbrauchen. Dem müssen wir entgegenhalten: Es gibt auf Probleme seriöse, kluge Antworten. Und die CSU ist die Partei, die diese europaweit auch durchsetzen kann.
Hauptbotschaft: Die Migrationszahlen müssen sinken
Können Sie denn auch "liefern"?
Es ist notwendig, dass wir in der Sache liefern. Für mich ist die Hauptbotschaft der nächsten Wochen: Die Migrationszahlen müssen auf ein erträgliches Maß runter. Es dürfen nur noch die kommen, die einen Bleibegrund haben, die wirklich Flüchtlinge sind. Die irreguläre Immigration muss beendet werden. Daher bin ich auch für EU-Abkommen mit Drittstaaten, wie etwa Tunesien. Die Zahlen zu reduzieren ist übrigens in den vergangenen Wochen auch schon gelungen.
Ein verstärkter EU-Außengrenzschutz und Ankerzentren an den EU-Grenzen werden schon seit vielen Jahren gefordert. Warum soll das jetzt auf einmal wirksam werden?
Wir sind in der Schlussphase der Gesetzgebung zur Migration. Mittlerweile streiten wir auf europäischer Ebene seit sieben Jahren über dieses Thema. Jetzt hat sich das Zeitfenster geöffnet, um das Thema gesetzgeberisch abzuschließen und das Schwarze-Peter-Spiel in Europa zu beenden. Ich will diese Chance bis Ende des Jahres nutzen. Für Bayern würde das bedeuten, dass zum Beispiel in Lampedusa oder an der türkisch-griechischen Grenze unmittelbar geprüft wird, ob jemand eine Bleibeperspektive hat. Wenn nicht, wird er direkt zurückgeführt.
Kann das noch rechtzeitig kommen, um die Stimmung zu drehen?
Wir müssen an den Außengrenzen für Ordnung sorgen. Der Staat muss entscheiden, wer kommt, und nicht die Schlepperbanden. Wenn es uns gelingt, das vor der Europawahl umzusetzen, wäre das eine ganz wichtige Botschaft an die skeptischen Wähler, die von uns jetzt Lösungen wollen. Die CSU ist die Partei der Lösungen und nicht der Problembeschreibungen.
Ukraine soll EU-Mitglied werden dürfen
Jetzt ist die Entscheidungsfindung in der EU wohl durch den Regierungswechsel in Polen etwas leichter geworden, aber in Frankreich droht die als rechtsextremistisch eingestufte Partei RN von Marine Le Pen eine Mehrheit zu bekommen. Bleibt die Lage in der EU wackelig?
Wenn Le Pen in Frankreich Präsidentin wird, wird als erstes gefragt werden: Warum kaufen wir als Franzosen deutsche Produkte? Es wird Protektionismus und nationalen Egoismus geben. Und dann werden wir in Bayern und Deutschland erst so richtig spüren, wie stark wir von Europa und den offenen Märkten profitieren. Nationalismus, so wie ihn auch die AfD in Deutschland offen ausspielt, schadet jedem ganz persönlich.
Aber Sie können ja nicht bestimmen, wie die Franzosen wählen...
Aber wir können gute Politik dagegensetzen und Probleme lösen. Ich bin stolz darauf, dass es der Europäischen Volkspartei in Polen mit Donald Tusk gelungen ist, die PIS in die Opposition zu schicken, und wir jetzt wieder auf eine konstruktive Kraft in Polen setzen können, die Europa mitgestalten will. Es kann gelingen, Menschen zu überzeugen und Wahlen zu gewinnen. Polen sollte uns motivieren, überall in Europa den Kampf mit den Nationalisten aufzunehmen. Wenn der AfD-Politiker Höcke sagt, dieses Europa muss sterben, dann sage ich, ich lasse mir von den Höckes dieser Welt mein Europa, für das ich als Christsozialer stehe, nicht kaputt machen.
Der Ukraine ist versprochen worden, Beitrittsgespräche zur EU aufzunehmen. Weckt man da nicht Hoffnungen, die nur enttäuscht werden können?
Die Ukraine hat trotz des Krieges enorme substanzielle Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht. Deswegen dürfen wir die Ukraine nicht enttäuschen. Die Ukrainer kämpfen für unsere Werte, für Freiheit und Demokratie. Deshalb muss es eine glaubhafte Zusage geben, dass sie Mitglied werden dürfen. Ukrainische Politiker und Leute vor Ort fragen mich immer, ob es wert ist zu kämpfen. Dürfen wir auch EU-Mitglied werden? Und da kann es nur ein Ja geben. Jeder weiß, dass der Beitritt ein langer Prozess sein wird und es für die Vollmitgliedschaft Frieden braucht. Das steht auch außer Frage. Aber jetzt das politische Signal zu geben, ihr seid Europäer, ist wichtig.