Nachrechnen oder nachrücken?
MÜNCHEN Viel Zeit bleibt nicht. Bevor am Mittwoch in München der Prozess um die rassistischen Morde der Terrorzelle NSU beginnt, muss der Senat von Manfred Götzl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen: Mindestens drei Plätze soll er für Medien mit besonderem Bezug zu Opfern – also vor allem türkische – bereitstellen.
Das höchste Gericht hat Götzl zum Handeln verdonnert. Der hat sich aber bisher nicht geäußert, und so wissen wenige Tage vor Prozessbeginn die türkischen Medien immer noch nicht, wer von ihnen dabei ist. Wenn die Akkreditierung für alle Journalisten noch einmal durchgeführt werden muss, ist der Termin für den Prozessbeginn am Mittwoch wohl nicht zu halten.
Weil beim bisherigen Akkreditierungsverfahren türkische Medien keinen festen Platz ergattert hatten, hatte die Zeitung „Sabah“ Verfassungsbeschwerde eingelegt – und bekam im Eilverfahren in wichtigen Punkten recht. „Wir haben die historische Klage gewonnen“, feierte „Sabah“ in ihrer Europaausgabe den Erfolg. Dabei ist noch nicht klar, ob die Zeitung selbst einen Platz bekommt.
Karlsruhe hat grob einen Weg vorgezeichnet: Das Gericht kann Plätze für türkische Medien von den schon zugelassenen Medien oder dem Publikum abknapsen und per Los oder nach Prioritätsprinzip vergeben. Nach Informationen der AZ gibt es allerdings noch eine weitere, recht einfache Möglichkeit, Plätze für höchstens vier türkische Journalisten im Gerichtssaal zu schaffen.
Denn bis jetzt hat das Gericht mit 50 festen Plätzen für akkreditierte Journalisten und mindestens 51 Plätzen für Zuschauer kalkuliert. Auf der Empore an der Nymphenburger Straße ist aber nun Platz für insgesamt 110 Menschen. Richtschnur bei der Besetzung ist, dass immer mehr „normale“ Zuschauer dabei sein dürfen als professionelle Beobachter, also Journalisten. Dieses Verhältnis wäre auch noch bei 54 statt 50 Journalisten gewahrt.
Nicht klar ist, ob jetzt eine neue Bewerbung nötig ist oder die bisherige Liste gelten könnte. Oder ob es dem Gericht gegebenenfalls frei steht, nach seinen Prioritäten oder nach dem Losverfahren eventuell hinzukommende Sitze zu verteilen. „Ich hoffe auf eine Berücksichtigung der Sabah“, sagt Vize-Chefredakteur Ismail Erel.
Die einen warnen nun vor einer Verzögerung des Prozesses, andere fordern einen völligen Neubeginn des Akkreditierungsverfahrens. Das wäre kaum zu schaffen – und würde bedeuten, dass der Start verschoben wird oder es erst mal ganz ohne Akkreditierungen losgeht – mit absehbarem Chaos.
Dabei wünschen sich nach all dem Trubel viele vor allem eines: Dass endlich die Verbrechen der Neonazi-Bande in den Mittelpunkt rücken: zehn Morde an Kleinunternehmern ausländischer Herkunft und einer Polizistin, zwei Dutzend Mordversuche und 15 Raubüberfälle. Die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe Mittäterschaft vor, obwohl sie anscheinend bei keinem der Morde, Anschläge und Überfälle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ dabei war. Götzls Senat steht vor einer schwierigen Aufgabe.
„Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit nun zu den Kernthemen zurückgeführt wird“, sagt der Vorstandssprecher der Türkischen Gemeinde in Bayern, Vural Ünlü. „Was uns natürlich interessiert: Dass auch die Unterstützerstrukturen aufgedeckt werden. Man muss sehen, wie tief der Eisberg unter der Oberfläche ist. Davon hängt ab, ob wir weiter in Angst leben müssen.“
Die Witwe des ermordeten Griechen Theodoros Boulgarides und Nebenklägerin Yvonne Boulgarides berichtete am Samstag am Stachus, ihre Familie habe unter Schock gestanden – erst wegen des Mordes, dann wegen der falschen Verdächtigungen. Auf das Gericht warte eine enorme Aufgabe, sagt ihre Anwältin Angelika Lex. Die unglückliche Platzvergabe hinterlässt bei ihr Zweifel. „Es gibt Anzeichen, dass das Gericht der politischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Situation nicht gewachsen ist.“
Sabine Dobel, tha
Bu sayfada Almanca metnin Türkçe’sini bulabilirsiniz