Nach Wikileaks: Was wird aus Obamas Irak-Plänen?

Die knapp 400.000 Dokumente waren noch nicht im Netz, da schäumte die US-Regierung schon vor Wut. Die Enthüllungen könnten Leben gefährden, erregte sich Außenministerin Hillary Clinton. Die nationale Sicherheit der USA stehe auf dem Spiel.
von  Abendzeitung
Präsident Obama im April 2009 bei einem Truppenbesuch
Präsident Obama im April 2009 bei einem Truppenbesuch © dpa

WASHINGTON - Die knapp 400.000 Dokumente waren noch nicht im Netz, da schäumte die US-Regierung schon vor Wut. Die Enthüllungen könnten Leben gefährden, erregte sich Außenministerin Hillary Clinton. Die nationale Sicherheit der USA stehe auf dem Spiel.

Das Pentagon forderte Wikileaks auf, die Dokumente sofort aus dem Netz zu nehmen. Angeblich durchforsten Terroristen die Seiten auf der Suche nach nützlichen Informationen für Anschläge. Es half nichts: Wikileaks dokumentiert mit dem jüngsten Coup nicht nur den Krieg - es demonstrierte auch die Ohnmacht einer Supermacht im Zeitalter des Internets.

Hochdelikat für die USA: Viele der Berichte über grausige Zustände, Folter und Barbarei in irakischen Gefängnissen sind noch gar nicht so alt. Noch heikler: Bis Ende 2011 will US-Präsident Barack Obama alle amerikanischen Truppen aus dem geschundenen Land abziehen - und den Irakern die volle Verantwortung für die Sicherheit übergeben. Kann Obama das wirklich wagen - angesichts der beklemmenden Dokumente über geschlagene, versengte, verätzte, gepeitschte Häftlinge?

Ein in jeder Hinsicht «beängstigendes Porträt der Gewalt», kommentierte die «New York Times», die wie eine Reihe anderer Medien Einsicht in die Wikileaks-Akten hatte. Sie seien aber «besonders besorgniserregend, weil Iraks Streitkräfte und Polizei zentrales Element von Obamas Plänen für den Abzug sind», merkt das Blatt an.

In der Tat erklärte der Präsident unlängst feierlich im Oval Office: «Das irakische Volk hat jetzt die Hauptverantwortung für die Sicherheit des Landes.» Wohlweißlich vergaß er nicht anzufügen: «Natürlich wird die Gewalt nicht mit unserer Kampfmission enden». Ein beklemmender, kleiner Nachsatz, der nach der Veröffentlichung der Geheimdokumente in ganz besonderem Licht erscheint.

Doch für Amerikaner sind der Irak-Krieg - und wohl auch die Dokumente - nicht mehr als die Erinnerung an einen Dämon aus längst vergangenen Tagen. Zumal die veröffentlichten Akten «anscheinend keine größeren Enthüllungen» zu bieten haben, wie die «Washington Post» urteilt. Was nur bedeuten kann: Kennern der Materie war das Ausmaß der Gräueltaten und der Brutalität durchaus bekannt.

In Wirklichkeit ist der Irak längst kein Thema mehr, das die Amerikaner aufwühlt. Viel mehr beschäftigt sie die blutarme Konjunktur, die hohe Arbeitslosigkeit - noch dazu sind in eineinhalb Wochen Kongresswahlen. Statt auf den Irakkrieg zu schauen, spekulieren die Medien darüber, wie hoch die Niederlage für Obama und sein Regierungslager ausfallen wird.

Als Obama das Ende des Kampfeinsatzes verkündete, machte er unmissverständlich klar, worauf es ihm ankommt: Amerika soll sich wieder stärker auf sich selbst konzentrieren. Man habe einen hohen Preis für den Waffengang bezahlt - rund 4400 tote US-Soldaten und Kosten von über einer Billion Dollar (715 Milliarden Euro).

Doch Obama legte auch ein Versprechen ab: «Unsere Kampfmission geht zu Ende, nicht aber unsere Verpflichtung für die Zukunft des Iraks.» Die Irak-Dokumente legen nahe, dass sich der US-Präsident daran noch häufig erinnern dürfte. (dpa)

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