Nach Vergleich im "Maultaschen-Fall": SPD und Linke für Bagatell-Regelung
BERLIN/FREIBURG - Nach dem Urteil im Rechtsstreit um eine Altenpflegerin, die wegen Diebstahls von sechs Maultaschen fristlos entlassen worden war, dringt die SPD auf eine Gesetzesänderung. Links-Vize Klaus Ernst fordert die Abschaffung der Verdachtskündigung.
Nach dem Urteil zum Maultaschen-Diebstahl einer Altenpflegerin dringt die SPD auf eine Gesetzesänderung: „Man kann gesetzlich regeln, dass bei solchen Taten mit geringen Werten nicht sofort eine fristlose oder eine Verdachtskündigung ausgesprochen wird, sondern eine Abmahnung“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende und Vizefraktionschef im Bundestag, Olaf Scholz, dem „Hamburger Abendblatt“. Man müsse den Gerichten mehr Spielraum lassen, sagte Scholz.
„Viele Menschen können einfach nicht verstehen, dass beispielsweise Banker oder Manager Millionenabfindungen bekommen und eine Verkäuferin wegen ein paar Euro ihren Job verliert.“ Die SPD hat deshalb eine Gesetzesinitiative in den Bundestag eingebracht. „Unser Vorschlag zur Lösung dieser Bagatelldelikte liegt im Bundestag, und wenn er nicht in dieser Legislaturperiode eine Mehrheit findet, dann eben ab 2013“, sagte Scholz.
Der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, forderte ein Verbot der Verdachtskündigung. „Wenn ein Beschäftigter eines Vergehens beschuldigt wird, dann muss die Beweislast ohne Wenn und Aber beim Arbeitgeber liegen. Bevor nichts bewiesen ist, darf auch keine Kündigung wirksam werden.“ Es müssten Bagatellgrenzen eingeführt werden, erklärte er.
"Maultaschenfall" endet mit Vergleich
Am Dienstag war der „Maultaschenfall“ in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Freiburg mit einem Vergleich abgeschlossen worden. Die wegen Diebstahls von sechs Maultaschen fristlos entlassene 58-jährige Altenpflegerin erhält demnach von ihrem früheren Arbeitgeber, der Konstanzer Spitalstiftung, eine Abfindung und Gehaltsnachzahlung von 42.500 Euro.
Sie akzeptiert dafür ihre Kündigung zum 31. Dezember 2009 nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit. In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht in Radolfzell die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Im April 2009 hatte die Frau sechs Maultaschen mitgenommen, die ursprünglich für Bewohner des Seniorenheims bestimmt waren, aber ohnehin sonst im Müll gelandet wären. Ihr war fristlos gekündigt worden. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen. Er gehört zu einer Reihe von Kündigungen wegen eines Bagatelldelikts, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurden.
Der Vorsitzende Arbeitsrichter des Landesarbeitsgerichts, Christoph Tillmanns, ließ am Dienstag durchblicken, dass er eine fristlose Kündigung der Altenpflegerin als Folge ihres Diebstahls für unangemessen hält, da dem Arbeitgeber „kein messbarer wirtschaftlicher Schaden“ entstanden ist. Die Altenpflegerin habe vielmehr dafür gesorgt, dass die vom Arbeitgeber zu entsorgende Müllmenge verringert worden sei, scherzte Tillmanns.
Nach der Einschätzung des Landesarbeitsgerichts muss bei dem Interessenausgleich in diesem Einzelfall überdies berücksichtigt werden, dass sich die Altenpflegerin „im fortgeschrittenen Alter“ von schon 58 Jahren befinde, ihrem Arbeitgeber über 16,5 Jahre treu geblieben sei und sich gleich für den Diebstahl entschuldigt habe. Außerdem bemängelte die Kammer die „soften Formulierungen“ der Spitalleitung an die Mitarbeiter, denen per Aushang ein Zugriff auf das Essen der Bewohner untersagt worden war. Daraus sei nicht eindeutig hervorgegangen, dass bei einem Verstoß gegen dieses Essensverbot eine fristlose Kündigung drohe. (apn/dpa)
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