Nach Soldaten-Entführung rückt Gaza-Frieden in weite Ferne
Gaza/Tel Aviv - Vorerst werde auch keine israelische Delegation nach Kairo reisen, um an Gesprächen über eine Feuerpause teilzunehmen. Möglicherweise beendet Israel nach den Worten des Regierungsmitarbeiters den Militäreinsatz sogar, ohne überhaupt eine Waffenruhe zu vereinbaren.
Ob der entführte 23 Jahre alte Leutnant Hadar Goldin überhaupt noch am Leben ist, blieb unklar. Die israelische Armee suchte am Samstag mit einem massiven Militäreinsatz weiter nach dem Vermissten. Militante Mitglieder der im Gazastreifen herrschenden Palästinenserorganisation Hamas hatten den Leutnant am Freitag nahe der im Süden gelegenen Stadt Rafah verschleppt.
Seine Einheit hatte an der Zerstörung eines nach Israel reichenden Angriffstunnels gearbeitet, als sie von dem Hamas-Kommando überrascht wurde. Ganze Truppenformationen durchkämmten am Samstag Häuser und verdächtige Orte, berichtete "Haaretz". Massives Artilleriefeuer unterstützte die Suche.
Das Schicksal des Israelis bleibt weiter ungewiss. Der bewaffnete Arm der Hamas, die Al-Kassam-Brigaden, bestritt am Samstagmorgen, den Soldaten in seine Gewalt gebracht zu haben. "Wir haben den Kontakt zu den an dem Überfall beteiligten Kämpfern verloren, und wir vermuten, dass sie alle bei dem (nachfolgenden israelischen) Bombardement getötet wurden", hieß es in einer Mitteilung. Dabei sei wohl auch der Soldat ums Leben gekommen.
Der israelischen Armee zufolge ereignete sich der Angriff anderthalb Stunden nach Beginn einer dreitägigen humanitären Waffenruhe, die die Vereinten Nationen (UN) und die USA zwischen Israel und militanten Palästinensern vermittelt hatten. Israel erklärte daraufhin die Waffenruhe für gescheitert und verstärkte seine Angriffe.
Ein ranghohes Hamas-Mitglied widersprach dieser Darstellung. Die Entführung sei vor Beginn der Waffenruhe passiert, sagte Mussa Abu Marsuk, der Vize-Auslandschef der Organisation, der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu.
Zuletzt war 2006 der Soldat Gilad Schalit von einem Kommando unter Leitung der Hamas von israelischem Boden aus durch einen Tunnel in den Gazastreifen verschleppt worden. Er kam erst mehr als fünf Jahre später frei - im Tausch gegen mehr als 1000 palästinensische Häftlinge. Israel hat inzwischen eine Reihe dieser Freigelassenen wieder festgenommen.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Freitag eine harte Reaktion angekündigt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich nach dem Scheitern der Waffenruhe "schockiert und zutiefst enttäuscht über die Entwicklung". Er befürchtete "ernste Folgen für die Menschen in Gaza, in Israel und darüber hinaus".
Die USA forderten die bedingungslose Freilassung des Soldaten. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi rief die Konfliktparteien dazu auf, sich so schnell wie möglich einer früheren ägyptischen Waffenstillstandsinitiative anzuschließen. "Wenn wir Zeit verlieren, wird die Situation komplizierter", erklärte er vor der Presse in Kairo.
Möglicherweise beendet Israel den Militäreinsatz im Gazastreifen sogar, ohne zuvor mit der Hamas eine Waffenruhe zu vereinbaren. "Wir werden die Zerstörung der Tunnel beenden und unsere Politik gegenüber Gaza auf Abschreckung gründen und nicht auf Abmachungen mit der Hamas", zitierten die "Haaretz" und das israelische online-Portal "ynet.news" einen hohen Regierungsbeamten.
Unterdessen dürfen die Bewohner von Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen in ihre Häuser zurückkehren, wie die israelische Armee mitteilte. In den vergangenen 24 Stunden hat Israel nach eigenen Angaben mehr als 200 Ziele in dem Palästinensergebiet am Mittelmeer angegriffen. Demnach wurden unter anderem fünf Moscheen getroffen. Sie seien von der Hamas als Übungsgelände und Kommandozentralen genutzt worden.
Das israelische Militär flog auch einen Luftangriff auf die Islamische Universität in Gaza. In einem Gebäude der Einrichtung wurden nach israelischen Angaben Waffen hergestellt.
Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden in Gaza seit dem 8. Juli mindestens 1650 Palästinenser getötet. Rund 8900 Menschen wurden demnach verletzt. Nach Angaben der UN-Nothilfeorganisation Ocha hat die Gewalt fast jeden vierten Einwohner im Gazastreifen in die Flucht getrieben. Mehr als 254 000 der 1,8 Millionen Palästinenser hätten Zuflucht in eine der 90 UN-Unterkünfte gesucht.
Auf israelischer Seite wurden im Gaza-Krieg mindestens 63 Soldaten und drei Zivilisten getötet. Militante aus dem Gazastreifen feuerten am Samstag erneut Raketen auf Israel ab. Zwei Geschosse wurden am Samstagmorgen über Tel Aviv, eines über der südlichen Stadt Beerscheva abgefangen. Militante Palästinenser feuerten nach Angaben der israelischen Armee seit Beginn der Militäroffensive mehr als 3000 Raketen auf Israel ab.
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