Nach Nazi-Jargon: Jetzt bekommt Söder Ärger

„Söder hat sich vergaloppiert". Mit Unverständnis reagieren Oppositionspolitiker auf die verbale Entgleisung von Finanzminister Markus Söder - und fordern Konsequenzen.
von  Angela Böhm

 „Söder hat sich vergaloppiert". Mit Unverständnis reagieren Oppositionspolitiker auf die verbale Entgleisung von Finanzminister Markus Söder - und fordern Konsequenzen.

München - Es sollte ein großer Tag für Bayern werden. Der endete mit einer verbalen Entgleisung. Bei der Präsentation zur Klage gegen den Länderfinanzausgleich schaltete Finanzminister Markus Söder auf Nazi-Jargon: „Seit heute Morgen um neun Uhr wird geklagt“, erklärte er und variierte damit ein Hitler-Zitat.

Dabei hielt er die 150 Seiten umfassende Klage in die Luft. Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Wirtschaftsminister Martin Zeil fanden’s lustig. Sie lachten. Zuvor hatte Seehofer die Klage als „Akt der politischen Notwehr“ bezeichnet.

Das erinnert an die dunkelste Seite der deutschen Geschichte. Mit den Worten „Polen hat heute nacht zum erstenmal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“, erklärte Adolf Hitler am 1. September 1939 vor dem Reichstag den Überfall auf Polen. Das war der Auftakt zum Zweiten Weltkrieg.

„Ach komm“, reagierte Seehofer genervt, als er auf den Nazi-Jargon angesprochen wurde und rauschte ab. Söder selbst gab sich empört: „Jetzt aber, bei aller Liebe!“ Die SPD fordert von Söder Konsequenzen. „Schon viele Politiker vor ihm sind zu Recht über ähnliche Anlehnungen an Nazi-Vokabular gestolpert“, erklärte Bayerns SPD-Chef Florian Pronold. „Es sei unfassbar, wie er sich aus dem Wörterbuch des Unmenschen bediene. Selbst im Wahlkampf sei ein solcher Ausrutscher nicht zu verzeihen.

Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte der AZ: „Söder hat sich vergaloppiert. Entweder er weiß nicht, welche Assoziation er auslöst, dann ist das ein Beweis von Geschichtsvergessenheit. Oder er weiß genau, welches Bild er bedient, dann ist das eine unverantwortliche Geschichtsrelativierung.“

Söders Sprecher erklärte: „In der Pressekonferenz wurde lediglich klargestellt, dass um neun Uhr die Klage eingereicht wurde.“ Alles andere sei konstruiert. Sollte sich dadurch jemand verletzt fühlen, sei das nicht beabsichtigt gewesen und man würde das bedauern.

Dabei hatte Seehofer alles so schön geplant. Gemeinsam mit Hessen reichte Bayern die Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Synchron trat auch in Hessen Regierungschef Volker Bouffier (CDU) vor die Presse und sprach von einem „Akt der politischen Notwehr“.

Seit Jahren hatte Seehofer unzählige Male eine Klage angekündigt. Er wolle nicht länger der Zahlmeister Deutschlands sein. „Es grenzt ja an Untreue, wenn wir diesen Gegebenheiten weiter untätig zuschauen würden“, erklärte er gestern.

Gegenüber dem bayerischen Steuerzahler könne er das nicht mehr vertreten. Nur noch drei Länder zahlen in den Finanzausgleich – 13 kassieren. Von den 2012 insgesamt umverteilten 7,925 Milliarden Euro zahlte Bayern rund 3,9 Milliarden Euro – und damit knapp die Hälfte. Den Rest steuerten Baden-Württemberg (34 Prozent) und Hessen (17 Prozent) bei.

Am meisten erhielt Berlin mit 3,3 Milliarden Euro. Das ärgert Seehofer besonders. „Der jetzige Länderfinanzausgleich ist unsolidarisch, ungerecht, und leistungsfeindlich.“

Warum er so lange mit der Klage gewartet hat, ist reine Taktik. Er will die Neiddiskussion voll als Wahlkampfthema nutzen – vor allem gegen die SPD-Regierungschefs in Berlin, Hamburg und NRW. Eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht muss er nicht fürchten. Das wird vor der Landtagswahl keine Entscheidung mehr treffen.


Von Jenninger und Däubler-Gmelin bis zum Nockherberg: Der Ausflug ins Nazi-Vokabular sorgt in Deutschland immer wieder für Wirbel.

Der wohl spektakulärste Fall: Bundestagspräsident Philipp Jenninger musste 1988 zurücktreten, weil er in einer Rede Sprachbilder der Nazis genutzt hatte.

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hatte US-Präsident George Bush mit Hitler verglichen und zog sich 2002 zurück.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger musste sich entschuldigen, weil er die NS-Vergangenheit von Hans Filbinger verleugnet hatte.

Ein Nazi-Vergleich zwang 2012 den Berliner Piraten-Fraktionsgeschäftsführer Martin Delius zum Ende seiner Karriere.

Eva Herrmann wurde 2007 als Nachrichten-Sprecherin gefeuert, wegen ihrer Aussagen zur NS-Zeit, eine Münchner Gong-Moderatorin, weil sie ihre Hörer mit „Arbeit macht frei“ begrüßt hatte.

Wegen seiner KZ-Anspielung musste Michael Lerchenberg seine Mönchskutte auf den Nockherberg ausziehen.

Und das ZDF entschuldigte sich für den „inneren Reichsparteitag“ seiner Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein.

Lesen Sie hier: Söder jagt Bürokratie durch den Schredder

 

 

 

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