Nach Merkels Rückzug wächst Druck auf Horst Seehofer
Nachdem Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Rückzug angekündigt hat, wächst der Druck auf den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer.
München/Berlin - Es sind bittere Sätze, die Horst Seehofer in diesen Tagen hören und lesen muss: "Seiner Partei und ihm selbst würde er sehr, sehr viel ersparen, wenn er einen Rückzug in der noch möglichen Form der Würde anträte", sagt der Politologe Heinrich Oberreuter in der BR-Radiowelt. Der frühere Leiter der Akademie für Politische Bildung in Tutzing ist seit Jahrzehnten selbst ein Christsozialer.
"Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es geschafft, einen selbstbestimmten Abgang als Parteivorsitzende zu gehen, das wünsche ich auch dem Kollegen Horst Seehofer", zitiert die "Welt" den saarländischen CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans.
<strong>Lesen Sie auch: Merkel gibt CDU-Vorsitz ab </strong>
Schärfer formuliert es der Landesgruppenchef der Hessen-CDU im Bundestag, Michael Brand: "Das Desaster der Union in Bayern und Hessen hat vor allem eine Ursache: Horst Seehofer", sagte er der "Fuldaer Zeitung". "Wer sein Ego über die Verantwortung stellt und mehr nach pathologischen als nach politischen Maßstäben agiert, darf sich nicht wundern, wenn Leute sich mit Wut und Entsetzen abwenden." Das müsse personelle Konsequenzen haben. Ämter seien kein Privatbesitz.
Der angekündigte Verzicht von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den CDU-Vorsitz (AZ berichtete) hat den Druck auf CSU-Chef Horst Seehofer massiv erhöht.
So zerstritten sie auch waren, das Schicksal hat Bundeskanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer aneinandergekettet. Über viele Jahre, fast Jahrzehnte hinweg. Vor allem in der vergangenen Dekade, seit sie parallel die Schwesterparteien CDU und CSU anführten, waren beide – und das trotz allen Streits – auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen.
Nachdem die Frage zur Zukunft in der CSU seit der Wahl von den Koalitionsverhandlungen im Freistaat überdeckt wurde, ist sie nach der Hessen-Pleite der CDU wieder omnipräsent. Und nachdem Merkel ihrerseits ihren Abschied auf Raten verkündet hat, richten sich in der Union die Blicke auf den Bundesinnenminister. "Kann schon sein, dass nun auch Seehofer schneller einsieht, dass seine Zeit gekommen ist", sagt ein hochrangiger CSU-Funktionär.
Ob er aus Überzeugung spricht oder aus Hoffnung, ist nicht zu erkennen. Entscheidend sei: Seehofer müsse einsehen, dass er den Rückhalt seiner Partei verloren habe – "nicht erst jetzt bei der Landtagswahl, schon im letzten Jahr zur Bundestagswahl".
Doch was heißt das für die Praxis?
CSU-intern wird nach den Koalitionsverhandlungen in Bayern mit einer Entscheidung über Seehofer gerechnet. Dies könnte bereits am Wochenende der Fall sein. Seehofer scheint sich allerdings mehr Zeit nehmen zu wollen. Er nennt Mitte November als spätmöglichsten Termin für den Start der Debatte zur inhaltlichen, strategischen und personellen Ausrichtung.
"Ich glaube erst, dass er das Amt aufgegeben hat, wenn sein Nachfolger gewählt ist", spottet beinahe verzweifelt ein Parteivorstand. So oft habe Seehofer sich am Ende wieder gerettet, eine Hintertür gefunden. Doch dies scheint jetzt praktisch unmöglich. Oder?
Tatsache ist, dass Seehofer keine großen Spielräume mehr hat. Konnte er Ende 2017 durch seinen Verzicht auf das Ministerpräsidenten-Amt und den Wechsel nach Berlin im März 2018 zumindest das Amt des Parteichefs retten, dürfte es nun von CSU-Seite keine Kompromisse mehr geben.
In den CSU-Bezirksverbänden laufen bereits die Planungen, sogar in der CSU-Landesgruppe hat Seehofer keine echten Unterstützer mehr, in der Landtagsfraktion ohnehin nicht. Viele sind überzeugt: Sollte Seehofer nicht selbst einen Schlussstrich ziehen, wird dies die Partei für ihn zügig erledigen, ungeachtet aller ihm zugeschriebenen Erfolge.
In der CSU rechnen sie deshalb fest mit einem Sonderparteitag zur Wahl eines neuen Parteichefs Anfang Dezember. Damit das möglich ist, muss Seehofer aber mitziehen. Seine Amtszeit endet erst Ende 2019, rechtlich sind der Partei ohne sein Zutun die Hände gebunden. Ein monatelanger offener Streit wäre die Folge. Der CSU bleibt daher nur das Prinzip Hoffnung.
Mehrfach zeigte sich Seehofer zuletzt diskussionsbereit, auch personelle Konsequenzen schloss er nicht aus. Er sagte aber auch, dass er sich nicht alleine für die Lage der CSU verantwortlich machen wolle.
Um eine Schlammschlacht auf dem Parteitag zu verhindern, könnte Seehofer vorab seinen Rücktritt erklären. Dann müsste die CSU bis Anfang Dezember nur noch entscheiden, wer ihm folgen soll.
Die größten Chancen werden seinem Dauerrivalen Markus Söder zugesprochen
Der Franke beerbte Seehofer bereits als Ministerpräsident. Würde er auch Parteichef, wie von vielen in der CSU gewünscht, lägen die beiden Ämter wieder in einer Hand.
Doch Söder hat bislang immer abgewunken, wenn es um den Posten des Parteichefs ging. Er verweist gerne nachdrücklich darauf, dass seine Aufgabe in Bayern liege. Diese Sicht könnte sich freilich schnell wandeln, wenn die Partei nur laut genug rufe, heißt es aus seinem Umfeld.
Sollte Markus Söder aber weiter beharrlich Nein sagen, wäre wohl Manfred Webers große Stunde gekommen. Der Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament hat große Ziele, in der kommenden Woche will er sich in Helsinki zum EVP-Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 küren lassen. Im günstigsten Fall könnte er Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission beerben.
Seehofer kündigte schon vor Wochen an, Weber am 8. November begleiten zu wollen. Es könnte seine letzte Dienstreise als CSU-Chef sein.
"Eins steht fest", sagte Seehofer am Dienstag bei der Verleihung des Preises der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst..." für mutige Helfer, die bei Verbrechen eingeschritten sind und den Opfern geholfen haben: "Das hier ist sicher der schönste Termin in dieser Woche."