Nach Live-TV-Protest gegen Krieg: Russin steht vor Gericht
Moskau – Nach ihrem aufsehenerregenden Protest im russischen Staatsfernsehen gegen den Krieg in der Ukraine steht die Frau nun vor Gericht.
Stundenlang keine Spur von Marina Owssjannikowa
Der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow veröffentlichte am Dienstag in einem Telegram-Kanal ein Foto von Marina Owssjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude.
Zuvor hatte es stundenlang keine Spur von ihr gegeben. Russische Medien berichteten, dass die TV-Mitarbeiterin wegen der Organisation einer nicht erlaubten öffentlichen Aktion belangt werde. Ihr droht demnach eine Arreststrafe von zehn Tagen oder 30.000 Rubel (226 Euro) Ordnungsstrafe oder bis zu 50 Stunden gemeinnützige Arbeit.
Redakteurin hält im russischen Staatsfernsehen Protestplakat gegen Ukraine-Krieg hoch
Zunächst war befürchtet worden, die Redakteurin könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russische Armee verurteilt werden. Dabei drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Die Redakteurin des Ersten Kanals des russischen Staatsfernsehens hatte am Montagabend in den Hauptnachrichten ein Protestplakat gegen den Krieg in der Ukraine in die Kamera gehalten.
Auf dem Plakat war auch zu lesen, dass die Zuschauer "hier belogen" werden. Owssjannikowa bezeichnete den russischen Angriff auf die Ukraine zudem in einem Video als Verbrechen. In den russischen Staatsmedien ist es untersagt, von einem Krieg zu sprechen.
"Das, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen"
Die Staatsführung nennt das Vorgehen im Nachbarland eine "militärische Spezialoperation" zur "Entmilitarisierung" und zur "Entnazifizierung" der Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der jüdische Wurzeln hat, bedankte sich bei Owssjannikowa.
Die russische TV-Mitarbeiterin Marina Owsjannikowa hatte vor ihrem aufsehenerregenden Protest gegen den Ukraine-Krieg in der Hauptnachrichtensendung des russischen Staatssenders Erster Kanal ein Video aufgenommen, in dem sie ihre politische Position erklärt.

Sie trägt darin eine Kette mit den Farben der Flaggen Russlands und der Ukraine und nimmt unter anderem Bezug auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland 2014 sowie die Vergiftung des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny.
Der Wortlaut des im Netz verbreiteten Videos in einer dpa-Übersetzung: "Das, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen. Und Russland ist der Aggressor. Und die Verantwortung für diese Aggression liegt nur auf dem Gewissen eines Menschen - und dieser Mensch ist Wladimir Putin.
"Schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass Russen in Zombies verwandelt wurden"
Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter ist Russin - und sie waren nie Feinde. Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können.
In den vergangenen Jahren habe ich leider beim Ersten Kanal gearbeitet und mich mit Kreml-Propaganda beschäftigt. Ich schäme mich jetzt sehr dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass vom TV-Bildschirm gelogen wurde. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass Russen in Zombies verwandelt wurden.
Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles anfing. Wir sind nicht für Demonstrationen rausgekommen, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach nur stillschweigend beobachtet. Jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewendet. Und noch zehn Generationen unserer Nachfahren werden sich von der Schande dieses Brudermord-Krieges nicht reinwaschen können.
Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren. Fürchtet nichts. Sie können uns nicht alle einsperren."