Nach dem großen Beben: Stunde Null für Haiti

Das Land befindet sich in einer Situation wie nach einem Krieg. Ein kompletter Staat muss völlig neu aufgebaut werden. Doch wie kann so etwas funktionieren? Und welche Rolle spielen die USA?
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Sie tragen zwar Waffen, aber im Moment sind sie die Retter: Ein kleiner Bub schaut hoffnungsvoll zu einem Soldaten der 82. US-Luftlandedivision auf.Foto: Polaris
az Sie tragen zwar Waffen, aber im Moment sind sie die Retter: Ein kleiner Bub schaut hoffnungsvoll zu einem Soldaten der 82. US-Luftlandedivision auf.Foto: Polaris

Das Land befindet sich in einer Situation wie nach einem Krieg. Ein kompletter Staat muss völlig neu aufgebaut werden. Doch wie kann so etwas funktionieren? Und welche Rolle spielen die USA?

PORT-AU-PRINCE Das schwere Erdbeben hat Haiti nicht nur schwer getroffen – die Nation liegt in Trümmern. Es gibt keine funktionierende Regierung mehr, keine Polizei, kein Militär, keine Wasserversorgung, keine Läden. Nur Zerstörung und um ihr Leben kämpfende Menschen. Für Haiti ist die Stunde Null angebrochen.

Die Nation muss ganz neu aufgebaut werden. Die USA nennen das „Nation Building“. Sie werden wohl in Zukunft neben der UN die Federführung bei diesem Prozess übernehmen. Die USA haben damit die meiste Erfahrung – mehr oder weniger erfolgreich. Nachkriegsdeutschland und Japan sind Positivbeispiele, in Irak und Afghanistan hat’s nicht wirklich funktioniert. Aber wie baut man ein Staatswesen neu auf?

1. Humanitäre Hilfe. „Bevor wir mit der wirklichen Arbeit anfangen können, müssen wir natürlich erstmal Leben retten“, sagt Ross Anthony von der US-Forschungseinrichtung Rand (Research and Development), die seit 1948 US-Regierungen berät. Das heißt konkret: Menschen behandeln, aber auch Epidemien verhindern, Leichen bergen und schnellstmöglich beerdigen.

2. Sicherheit herstellen. „Das ist eigentlich der wichtigste Punkt“, sagt Anthony zur AZ. „Erst wenn die Menschen keine Angst mehr um ihr Leben haben müssen, kann man sie für den Wiederaufbau gewinnen.“ Experten sprechen von der „goldenen Stunde“ – der Zeitspanne, in der die Bevölkerung Eingriffe von außen dankbar annimmt.

In dieser Phase müsse man ausreichend Militär ins Land bringen, quasi als Ersatz-Polizei. Ideal seien 20 Soldaten pro 1000 Einwohner, empfiehlt Ex-US-Regierungsberater James Dobbins. In Haiti sind drei Millionen Menschen betroffen. Das Land bräuchte also 60000 Soldaten, seien es Amerikaner, UN-Soldaten oder andere Armeeangehörige. Insgesamt sind rund 15000 Soldaten im Land.

3. Übergangsregierung, Justiz, Wirtschaft. Langfristig braucht Haiti wieder eine funktionierende Regierung. Für einen Neustart muss diese möglichst unbelastet sein: Eine Rückkehr des korrupten Ex-Präsidenten Aristide aus dem Exil wäre eine Katastrophe. Die Haitianer brauchen Hilfe beim Aufbau eigener Polizei und Justiz. Viele Beamte sind tot, neue müssen geschult werden. Wenn die ersten Schulen und Geschäfte wieder öffnen, „ist das ein Signal der Hoffnung und sichert den ausländischen Kräften die Loyalität der Bevölkerung“, so Anthony.

Wie erfolgreich ist Nation Building? Eigentlich ist das ein Prozess, der nach Kriegen einsetzt. Deshalb gibt es nur Vergleiche aus Nachkriegszeiten. Faktisch befindet sich Haiti aber in einer ähnlichen Situation. Das Vorzeigebeispiel für gutes Nation Building ist Deutschland, sagt James Dobbins: Die Deutschen haben die Hilfe damals dankbar angenommen, es gab noch wirtschaftliche Ressourcen, außerdem war die Bevölkerung sehr homogen.

Im Irak und in Afghanistan ist das anders: Hier versammeln sich verschiedene ethnische Gruppen, die sich nun offen bekriegen. Die USA werden dort außerdem nicht als die strahlenden Heilsbringer wahrgenommen, als die sie sich gerne sehen. Und: Es gab keine Langfrist-Strategie. George W. Bush dachte, der Irak könne per Hau-Ruck-Einsatz befriedet werden. Aber: „Nation Building braucht viel Zeit und langen Atem“, sagt Ross Anthony. Haiti hat eine Chance, zum Beispiel im Tourismus – wenn endlich Frieden einkehrt. US-Außenministerin Hillary Clinton hat hoffentlich Ernst gemeint, was sie versprochen hat: „Wir werden heute da sein, wir werden morgen da sein, und danach auch noch.“ Annette Zoch

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