Na so was! Seehofer gratuliert der SPD
Der Auftakt für eine große Koalition? Der CSU-Chef feiert mit Herausforderer Ude den 120. Geburtstag der Genossen - und schaut zu, wie ein roter Bus seine schwarzen Wähler übernimmt
Ein paar Wochen musste er doch überlegen. Erst dann hat er „ja“ gesagt. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer geht zur SPD. An diesem Sonntag wird der CSU-Chef zwischen seinem Herausforderer Christian Ude, dem Bundesvorsitzenden der Genossen, Sigmar Gabriel und Bayerns Ober-Sozi Florian Pronold sitzen. Das Quartett Eisenreich wird feurig „Brüder zur Sonne“ fiedeln – und Seehofer beim politischen Gegner ein Grußwort sprechen.
Die Genossen feiern im Kolpinghaus in Regensburg das 120-jährige Bestehen der Bayern-SPD. Ein Schwarzer zwischen den Roten. Wenn auch nur für zwei Stunden. So lange wird der Festakt dauern. Das gab’s in Bayern noch nie. Ist das der Auftakt zu einer großen Koalition nach der Landtagswahl 2013? Seehofer wiegelt ab und spielt seinen Auftritt herunter. „Die haben mich gefragt“, sagt er lapidar. „Und ich hab’ zugesagt.“
Die Idee zu der ungewöhnlichen Einladung hatte Florian Pronold. „Hier geht’s um die älteste demokratische Partei, die den Freistaat gegründet und seine Verfassung maßgeblich geprägt hat“, sagt der Chef der Bayern-SPD selbstbewusst. „Da kann der bayerische Ministerpräsident schon ein Grußwort sprechen. Das ist ein gutes Zeichen.“ Im Frühjahr hatte er ganz einfach einen Brief an Seehofer geschrieben und angefragt, ob er nicht kommen und zehn Minuten sprechen wolle. Nach ein paar Wochen meldete sich die Staatskanzlei, der Ministerpräsident habe sich den Termin freigehalten und würde es gerne machen.
„Außergewöhnlich“ ist das für Pronold nicht. Auch nicht ein Jahr vor der Wahl. „Ich finde, dass man in einer parlamentarischen Demokratie über alle politischen Grenzen hinweg den Wert von Parteien hervorheben kann. Das sieht Horst Seehofer genauso.“ Der hat seine Glückwünsche schon parat: „In 120 Jahren haben viele bayerische Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Bayern und Deutschland mit geprägt - als überzeugte Demokraten und kraftvolle Persönlichkeiten“, sagt der Ministerpräsident. Und lobt: „In den dunkelsten Zeiten unserer Geschichte waren viele gar bereit, für ihre Überzeugungen ihr Leben zu riskieren.“
Deshalb wolle er über alle Parteigrenzen hinweg diesen Persönlichkeiten Respekt zollen. „In dem Wissen, dass wir alle einen gemeinsamen Auftrag haben: für Freiheit und Demokratie, gegen Gewalt, Unterdrückung und Extremismus in jeder Richtung,“ so Seehofer. „Ich gratuliere zu 120 Jahren Bayern SPD!“
Doch ganz so locker werden die roten Stunden für ihn nicht werden. Erstmals seit 55 Jahren hat die SPD eine Chance, Seehofer mit seiner CSU auf die Oppositionsbank zu schicken. Bisher stellten die Genossen mit Wilhelm Hoegner, dem Vater der bayerischen Verfassung, nur einen einzigen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten. In den Umfragen liefern sich die Christsozialen mit der von der SPD angeführten Opposition ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach derzeitigen Umfragen liegen sie mit 43 Prozent gleich auf. Die CSU hätte keine Mehrheit.
Das kosten die Sozis bei ihrer Geburtstagsfeier voll aus. Seehofer muss zuschauen, wie ein vollbesetzter CSU-Bus eine Bergstraße hinaufprescht. Sein Getriebe beginnt zu stottern. Er rammt einen Felsen, kann gerade noch über einem Abgrund bremsen. Der Motor springt nicht mehr an. Der rote Bus kommt immer näher. Die CSU-Mitfahrer halten ihn an, steigen um und fahren mit dem roten Gefährt erleichtert davon. Die Botschaft: „Grüß Gott Bayern - Auf Wiedersehen CSU.“
Der Wahlspot ist Geschichte und doch aktuell wie nie zuvor. Vor 22 Jahren, bei der ersten Wahl 1990 nach dem Tod von Franz Josef Strauß, hoffte die SPD mit dem roten Bus auf den Wechsel. Vergeblich. Strauß-Nachfolger Max Streibl erzielte 54,9 Prozent. Die SPD verlor mit 25,97 Prozent. Von solch einem Ergebnis können die Genossen in Bayern heute nur träumen. Bei der letzten Wahl 2008 hatten sie mit 18,6 Prozent ihr historisches Tief. Christian Ude als Seehofer-Herausforderer bringt seine Partei in Umfragen auf 22 Prozent. „Wir dürfen nicht nur der Asche huldigen, sondern müssen die Flamme wieder zum Brennen bringen“, warnt Pronold zum Jubiläum.
Ude hatte das schon drastischer formuliert. „Kein Mensch, der alle Tassen im Schrank hat, wird sich an 22 Prozent berauschen.“ Das sei ein „Tritt in den Hintern, der bekanntermaßen nach vorne wirft“.
Oder in eine große Koalition? Schon einmal haben Ude und Seehofer, die beiden mächtigsten Männer Münchens, ungeniert miteinander geturtelt. Vor genau einem Jahr bat der schwarze Ministerpräsident den roten Oberbürgermeister nach fast 50 Jahren als ersten Sozi wieder die Festrede bei der Verleihung des bayerischen Verdienstordens zu halten.
Auch das war ein revolutionäres Symbol. Denn seit Wilhelm Hoegner im Jahre 1964 hatten die Schwarzen dort nie mehr einen Roten rangelassen. Allerdings wusste Seehofer damals noch nicht, dass Ude gegen ihn antreten wird. Den hatten offensichtlich die prunkvollen Räume in der Residenz und die Ordenszeremonie so inspiriert, dass er sich zwei Wochen später als Herausforderer präsentierte.