Mord-Ermittlungen nach Berliner Mai-Krawallen
273 Polizisten wurden bei den 1. Mai-Krawallen in Berlin verletzt. Nun hat die Justiz reagiert und 44 Haftbefehle erlassen. Berlins Innensenator Körting hat seinen umstrittenen Vergewaltigungs-Vergleich zurückgenommen.
Nach den heftigsten Mai-Krawallen seit Jahren hat die Berliner Justiz 44 Haftbefehle erlassen. Gegen vier Verdächtige wird wegen versuchten Mordes ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft am Sonntag mitteilte.
Nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft kamen 17 Verdächtige in Untersuchungshaft, die übrigen wurden gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Zwei weitere junge Männer wurden nach dem Jugendschutzgesetz in Heimen untergebracht. Bei den Straßenschlachten waren 273 Polizisten verletzt worden. Die Polizeigewerkschaften sprachen von Mordanschlägen. Nach teils massiven Angriffen von Rechts- und Linksextremen am Rande der Mai-Kundgebungen spricht die Polizei nun von einer neuen Dimension der Gewalt. In Berlin machten die heftigsten Krawallen seit Jahren die Hoffnungen auf einen friedlichen 1. Mai zunichte.
Kritik an Körting
Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting geriet derweil wegen eines Vergleichs der Krawalle mit Vergewaltigungen unter Druck und nahm seine umstrittene Äußerung schließlich zurück. Er hatte enthemmtes Vorgehen der Randalierer mit Sexualdelikten verglichen - sei «die Frau erst mal ausgezogen und vergewaltigt, dann falle es anderen leichter, auch mitzumachen». Der Vergleich sei schief. «Ich möchte ihn so nicht aufrechterhalten», sagte der SPD- Politiker am Sonntag nach Angaben seiner Sprecherin. Die CSU hatte den Rücktritt des SPD-Politikers gefordert. Körting betonte laut Sprecherin, er bleibe bei seiner «moralischen Verurteilung der Steinewerfer, die er mit dem Vergleich zum Ausdruck bringen wollte.» CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte: «Körting muss sich öffentlich entschuldigen und dann seine Koffer packen und abhauen. Solche perversen und unverschämten Parolen sind eines Berliner Senators unwürdig.» Auch andere Politiker kritisierten Körting. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla forderte eine öffentliche Entschuldigung und bezeichnete den Vergleich als abstoßend und Skandal. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel erklärte: «Mit seiner Äußerung bagatellisiert Körting Sexual- und Gewaltstraftaten.»
Neue Qualität der Gewalt
Der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch sprach nach den Straßenschlachten in der Nacht zu Samstag von einer neuen Qualität der Gewalt. «Die Zahl der Gewalttäter war in diesem Jahr höher, die Gewalttaten begannen früher und die Angriffe gegen Polizeibeamte waren heftiger als im Vorjahr», sagte er. Trotzdem solle die Deeskalationstaktik fortgesetzt werden. Im letzten Jahr wurden 112 Polizisten bei den Krawallen verletzt. Verletzt wurden auch Dutzende Randalierer und Passanten, die mit zumeist klaffenden Kopfwunden und Prellungen behandelt werden mussten. Bei den Straßenschlachten wurden 289 Personen festgenommen, 150 mehr als 2008. Rund 5.800 Beamte waren im Einsatz. Körting räumte ein: «Im Bemühen, einen friedlichen 1. Mai zu bekommen, haben wir einen Rückschlag erlitten.» Seiner Meinung nach seien die Täter jedoch keine Protagonisten bevorstehender sozialer Unruhen. Der Großteil habe unpolitisch gehandelt. Anders als früher hätten sich kaum Jugendliche an den Krawallen beteiligt, sondern meist «Mitt-Zwanziger».
Gehwegplatten, Steine und Flaschen
Ausgangspunkt der Ausschreitungen war eine Demonstration linker Gruppen, bei der Randalierer zwei Polizeiautos stark beschädigten und Steine, Gehwegplatten, Feuerwerkskörper, Brandsätze und Flaschen auf die Beamten warfen. Drei Beamte wurden mit Benzin übergossen und angezündet, blieben aber unverletzt. Darüber hinaus errichteten die Randalierer an mehreren Stellen am Rande eines großen Fests, zu dem rund 35.000 Menschen kamen, Barrikaden und zündeten auf den Straßen Müllcontainer an. Gewalt «neuer Qualität» gab es auch anderswo: So hatten am 1. Mai in Dortmund rund 300 Rechtsextreme gezielt Teilnehmer einer DGB-Demonstration mit Holzstangen und Steinen angegriffen. Auch im Hamburger Schanzenviertel gab es in der Nacht Ausschreitungen, bei denen sechs Polizisten verletzt wurden. Die Polizei, die auch Wasserwerfer einsetzte, nahm 23 Personen aus der linken Szene fest. Der Chef der Polizeigewerkschaft GdP, Konrad Freiberg, sprach von Mordanschlägen auf Polizisten und forderte die Einstellung von mehr Beamten. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung», durch die «dramatische Zurückhaltung» seien Polizisten zur Steinigung freigegeben worden. Auch sei es ein fataler Fehler gewesen, auf den Einsatz von Wasserwerfern zu verzichten.
Neonazi-Angriff in Dortmund
Gegen 280 Rechtsextreme, die mit Holzstangen und Steinen bei einer DGB-Kundgebung am 1. Mai in Dortmund Polizisten und Gewerkschafter angegriffen hatten, wird wegen Verdachts auf Landfriedensbruch ermittelt. Der NRW-Verfassungsschutz hatte kürzlich vor den «Autonomen Nationalisten» gewarnt, die vor allem junge Gewalttäter rekrutieren wollen. Ein Schwerpunkt dieser Gruppe in NRW ist laut Verfassungsschutzbericht der Großraum Dortmund/Hamm. (AP/dpa)