Mit Verlaub: Er wird 65
Übervater und Griesgram, grüner Macker und großer Staatsmann: Joschka Fischer, der die Republik und die Politik über Jahrzehnte aufmischte, feiert heute mit Ehefrau Nr. 5
München Dochdoch, er kann freundlich sein. Umgänglich, lustig, dieser Joschka Fischer. Dafür gibt es Beweise, es müssen nur ein paar Voraussetzungen stimmen. Er muss etwas von seinem Gegenüber wollen, zum Beispiel.
Lange her, vor siebeneinhalb Jahren, er führte seinen letzten Wahlkampf, einen aussichtslosen, wie er wohl ahnte, in der brütenden Hitze des Spätsommers 2005. Da brauchte der Außenminister die gute Presse, die Journalisten, die er sonst gerne und öffentlich gering schätzte: Also Frage: Glauben Sie, dass Rot-Grün noch eine Chance hat? „Wenn Sie glauben, gehen Sie in die Kirche“, sagt er da. Und imitierte einen Witzblatt-Guru: „Wir sind aber hier im irdischen Jammertal zum Wissen verdammt. Und das können wir nicht.“
Aber er wusste da sehr wohl, dass er seine Grünen allein lassen würde nach der Niederlage. Als es dann so weit war, im September 2005 („Ciao Ragazzi“), da mochte es keiner glauben. Fischer, das Urtier, das „political animal“ par excellence, der Politiker, der die Grünen salonfähig gemacht, der sie an die Macht geführt hatte, tritt freiwillig ab? Er hat es getan damals. Der Mann, der so oft alle überrascht hat, und der immer noch für Überraschungen gut ist, er wird heute 65 Jahre alt.
"Es stinkt ganz ordinär nach Schnaps im Bundestag"
65 schon – oder erst? Irgendwie alterslos wirkte er schon immer, altklug war noch eines der freundlicheren Attribute. Aber Ältere erinnern sich noch gut an den zornigen jungen Mann: Am 18. Oktober 1984 verließ ein erregter junger Abgeordneter das Plenum des Bundestages mit dem legendären Spruch: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ Es ging hoch her, um die Flick-Affäre, um gekaufte Politiker. Joschka Fischer hat sich gleich entschuldigt, damals bei Richard Stücklen. Aber gesagt ist gesagt. Die Kombination von gestelzter Ausdrucksweise („mit Verlaub...“) und rüpelhafter Injurie gehört zum Erbe der bundesdeutschen Polit-Geschichte.
Den Ruf als messerscharfer Rhetoriker, den hat Joschka Fischer immer wieder bestätigt: Dass jemand „als Löwe gesprungen und als Bettvorleger gelandet“ ist, das musste sich als erster Innenminister Friedrich Zimmermann anhören von Joschka Fischer. Dass es „im Bundestag ganz ordinär nach Schnaps stinkt“, das erfuhr das Wahlvolk auch vom MdB Fischer, Josef, Frankfurt.
Aber Fischer kann auch schweigen. Gerade jetzt zum Geburtstag wollte der „Stern“ mal wieder was zur Vorvergangenheit des Jubilars in der Frankfurter Sponti-Szene der Siebziger wissen. Mit großem Eifer stellt der Autor Fischer als Brandstifter dar, als Stalinisten, als einer, der 1976 die Molotow-Cocktails gegen „die Bullen“ wenn nicht geworfen, so doch gefordert hat.
Die Grünen litten unter seinem Bonapartismus
Es wäre dann eine Lüge gewesen, was Fischer 2001 sagte: „Ich habe nicht Molotow-Cocktails geworfen, und ich habe nie gutgeheißen, Molotow-Cocktails zu werfen.“ Jetzt schweigt Fischer, als könnten ihm die alten Geschichten nichts anhaben. Er hat sich viele Feinde gemacht, vor allem links ist Joschka-Bashing in. Bequem ist er nicht gewesen, auch nicht für seine Partei. Der Parteienforscher Joachim Raschke sprach einst von Fischers „informellem autokratischen Bonapartismus". Daran mussten sich die Autoritäts-skeptischen Grünen reiben.
Und doch wissen die Vernünftigeren – auch unter seinen Gegnern – was sie an ihm hatten. Es war Fischer, der die Grünen 1999 auf seinen Kosovo-Kurs brachte. Die Partei stimmte in Regierungsverantwortung dem Einsatz im Balkanstaat zu. Was klingt wie mit vorgehaltener Waffe, war in Wirklichkeit die Kraft der Argumente, mit der sich erst die Partei der Strickpullover-Pazifisten und schließlich das ganze Land auseinander setzen musste.
Ohne diese Kraft, sich der Realität und den Problemen zu stellen, wären die Grünen eine Ohne-Michel-Partei geblieben – mit dem vorhersehbaren Schicksal vieler Protestparteien. „Beim Thema Kosovo hat er sicher in einigen Punkten recht gehabt“, sagt Siegfried Benker, einstiger Münchner Grünen-Stadtrat, der inhaltlich eher über kreuz war mit Fischer.
Freut sich Fischer über spätes Lob? Man kann es bezweifeln. Mit seiner eigenen Partei verbindet ihn mehr Abneigungen als Gleichgültigkeit. Legendär seine Verachtung für den armen Parteichef Reinhard Bütikofer. Mit Jürgen Trittin hatte er wenigstens einen Gegner mit gleichwertigem Ego. Aber Zuneigung? Er brummt: „Claudia Roth hat ein Löwenherz.“ Das klingt auch ein wenig herablassend.
Vergangenen Monat feierten die Grünen 30 Jahre im Bundestag. Es war eine große Sause in Berlin, Fischer wurde angefragt. Als Hauptredner, er zauderte, sagte ab. Dann bloß als Gast. Fischer kam gar nicht.
"Ich finde Gehirn einfach sexy" sagt seine Frau
Die Trittins und die Roths und ein Ministerpräsident wie Winfried Kretschmann erst recht: Sie können sich trösten. Ohne Fischer ist die Partei erfolgreicher als mit ihm. Aber man ahnt, was man ihm verdankt: „Wir profitieren noch heute von seiner strategischen Kompetenz“, sagt Bayerns Fraktionschefin Margarete Bause: „Er hat uns in die Regierungsfähigkeit geführt.“
Fischer ist nicht unpolitisch geworden. Europa ist sein Thema, und wenn einer sagt, die Griechen gehörten rausgeschmissen oder die EU reguliere zuviel, dann kann er noch ganz der Alte werden. „Ignoranten, die nichts vom Wert Europas verstehen“, schimpft er über die Euro-Kritiker, und vergangenen Januar im ZDF: „Ich kann es nicht mehr hören: Alle wollen einen starken gemeinsamem Markt. Aber der erfordert gemeinsame Regeln.“
Ansonsten geht er selten raus. Auf den Berliner Filmball – als Begleitung seiner Frau Minu Barati – schon. Sie ist seine Fünfte, Deutsch-Iranerin, Filmproduzentin, mit 36 viel jünger als er. Und sie sagt: „Ich finde Gehirn einfach sexy.“ Mit ihr will er feiern: „In meinem Alter will man seine Ruhe“.
Sie leben in einer Dahlemer Villa, er geht mit dem Hirtenhund Benno spazieren, er fährt laut „Stern“ ein „schweres schwarzes Auto“. Er arbeitet in seiner Consulting-Firma JF&Company, berät BMW, Rewe und andere. Das Unternehmen machte 2011 laut „Stern“ 700000 Euro Gewinn. Das hat er seinen Kontakten zu verdanken – unter anderem zu Madeleine Albright. Jetzt arbeiten ihre Firmen zusammen. Zu Bill Clintons ehemaliger Außenministerin war er immer freundlich. Das hat sich gelohnt. Matthias Maus