Migration: Zulassen oder zu lassen?
Vize-Chefredakteur Georg Thanscheidt über die Einwanderungs-Debatte. Migration zuzulassen, sie zu steuern, ist schwierig, aber für unser Land lebensnotwendig.
Unter welchen Bedingungen wären Sie bereit, Ihre Heimat zu verlassen und in ein anderes Land zu ziehen? Wäre es ein ausreichender Grund, dass Sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden? Dann müssten Sie sich als Münchner eigentlich bald auf die Socken machen.
Oder müssten Sie arbeitslos sein und daheim keine Aussicht auf einen Job haben? Dann wissen Sie jetzt, warum der Fleischereifachverkäufer Ihres Vertrauens immer noch so sächselt.
Oder können Sie nachvollziehen, dass jemand an seinem Wohn- oder Geburtsort nichts hält, weil ein Arbeitgeber anderswo bereit ist, für die gleiche Arbeit mehr Geld zu zahlen? Dann wissen Sie, warum auch in München ein Viertel nach dem anderen „veredelt“ wird. Aber auch, warum ihr Neffe oder ihre Enkeltochter nach einem Auslandsstudium gleich in den USA bleibt.
Migration ist also auch in München und für Münchner ein alltäglich erfahrbares Phänomen. Und: Migration ist per se nichts Böses. Sie eröffnet den Zuwandern Chancen, aber sie nutzt mittel- und langfristig auch den Ländern, die Einwanderung zulassen.
Das gilt ganz besonders für die Bundesrepublik: Wir können ohne Einwanderer künftig weder den Arbeitskräftebedarf unserer Exportwirtschaft decken noch die Stabilität unseres Sozialversicherungssystems garantieren. Die Union hat sich lange eingeredet, Deutschland sei kein Einwanderungsland.
Das stimmt nicht. Migration zuzulassen, sie zu steuern, ist schwierig, aber für unser Land lebensnotwendig. Das zu leugnen, wäre ein fataler Fehler.