Spannungen an Polens Grenze verschärfen sich

An der EU-Außengrenze zu Belarus sind Tausende Migranten gestrandet, die der autoritäre Machthaber Alexander Lukaschenko eingeflogen haben soll. Die Lage wird immer angespannter.
dpa |
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Migranten vor einem Grenzzaun aus Stacheldraht an der belarussisch-polnischen Grenze bei Grodno Grodno.
Migranten vor einem Grenzzaun aus Stacheldraht an der belarussisch-polnischen Grenze bei Grodno Grodno. © Leonid Shcheglov/BelTA/AP/dpa
Minsk/Warschau

An der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus spitzt sich die Situation mit Tausenden gestrandeten Migranten weiter zu.

Polnischen Behördenangaben vom Dienstagmittag zufolge bewegt sich eine "große Gruppe" von Sicherheitskräften des autoritär geführten Nachbarlandes in Richtung eines Lagerplatzes von Migranten im belarussischen Grenzgebiet. Das Außenministerium in Minsk wiederum warnte Polen vor "Provokationen". Die belarussische Staatsagentur Belta meldete zudem angebliche Schüsse auf polnischer Seite. Wie schon am Vortag gab es dazu aus Polen aber zunächst keine offiziellen Angaben.

Am Morgen hatte die polnische Seite den Grenzübergang Kuznica geschlossen, in dessen Nähe die Migranten sich im Wald aufhalten. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen - rund 230 und 70 Kilometer entfernt. Bei Bobrowniki bildeten sich zwischenzeitlich lange Staus.

Bei Minusgraden die Nacht in Zelten im Wald verbracht

Am Montag waren polnischen Angaben zufolge Tausende Menschen - viele aus Krisengebieten wie Afghanistan und Irak - von belarussischer Seite aus in Richtung polnischer Grenze gelaufen. Größere Gruppen versuchten, die Zaunanlage zu durchbrechen. Laut polnischen Behörden hielten sich 3000 bis 4000 Migranten im Grenzgebiet auf. Bei Minusgraden verbrachten viele die Nacht in Zelten im Wald. Der belarussische Grenzschutz erklärte, die Menschen könnten dort nicht einmal hygienische Grundbedürfnisse erfüllen.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und die UN-Organisation für Migration (IOM) waren am Dienstag alarmiert über die Zustände im Grenzgebiet. Sie forderten beide Regierungen auf, humanitären Helfern ungehinderten Zugang zu den Gestrandeten zu gewähren. Es müsse geprüft werden, wer Schutz brauche und es müsse denen geholfen werden, die Asyl beantragen wollten. "Die Instrumentalisierung von Migranten und Flüchtlingen, um politischer Ziele zu erreichen, ist bedauerlich und muss aufhören", teilten sie mit. Es sei inakzeptabel, die Verzweiflung von Migranten und Flüchtlingen auszunutzen und ihnen unrealistische und irreführende Versprechen zu machen.

Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, die Migranten gezielt einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Der oft als "letzter Diktator Europas" kritisierte Lukaschenko selbst hatte angekündigt, die Menschen auf ihrem Weg nach Europa nicht länger aufzuhalten - als Reaktion auf westliche Sanktionen gegen Belarus.

Der belarussische Innenminister Iwan Kubrakow bestätigte laut Staatsagentur Belta, dass die Zahl der Migranten in Belarus zugenommen habe. "Sie kommen aber mit Visa in unser Land und checken in Hotels ein." Belarussische Behörden stehen in der Kritik, die Menschen gezielt in Richtung der polnischen Grenze zu drängen und dann nicht mehr zurück ins Landesinnere zu lassen.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Verteidigungsminister Mariusz Blaszczack fuhren am Dienstag ins Grenzgebiet. Sie hätten am Morgen im polnischen Grenzort Kuznica die Sicherheitskräfte besucht, die Polens Grenze schützten, twitterte das Verteidigungsministerium.

Unterdessen will das baltische EU-Land Litauen, das ebenfalls eine Grenze mit Belarus teilt, angesichts der angespannten Lage für einen Monat den Ausnahmezustand in der Grenzregion verhängen. Die Regierung legte dem Parlament in Vilnius am Dienstag einen entsprechenden Beschluss zur Billigung vor.

Rund um die dramatische Situation an der belarussisch-polnischen Grenze steht unter anderem auch die Türkei in der Kritik - eines der Länder, von denen aus Migranten mit Flügen nach Belarus gelangten. Die halbstaatliche Fluggesellschaft Turkish Airlines (THY) fliegt Belarus laut Flugplan zehn Mal im Monat an. Von Istanbul aus gehen zurzeit täglich ein bis zwei THY-Direktflüge nach Minsk. Auch die belarussische Fluggesellschaft Belavia fliegt Minsk von Istanbul aus bis zu zweimal täglich an. Die EU arbeitet nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an Sanktionen gegen Fluggesellschaften von Drittstaaten, die am Transport von Migranten nach Belarus beteiligt sind.

Polen und Litauen haben in den vergangenen Monaten Tausende Grenzübertritte gemeldet. Deutschland gilt als ein Hauptziel der Migranten. In der Grenzregion gab es bereits mehrere Todesfälle unter Migranten. Menschenrechtler forderten erneut schnelle Hilfe.

Unterdessen kommt Kritik aus der sich bildenden Ampel-Koalition an Polens Zurückweisungspolitik gegen Migranten an der Grenze zu Belarus. Nötig seien zwei Botschaften an Warschau, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt der "Welt". "Erstens: Nein zu menschenunwürdigen Pushbacks. Und zweitens: Ja zu Solidarität." Zugleich müsse die Europäische Union ihre Sanktionen gegen Belarus verschärfen.

Der migrationspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, sagte der Zeitung: "Die Grundrechte, darunter der Zugang zu Asyl, müssen an den europäischen Außengrenzen jederzeit gewahrt werden." Die europäische Grenzschutzagentur Frontex solle sofort Zugang zum polnischen Grenzgebiet bekommen und den Grundrechtsschutz für alle dort sicherstellen. Auch Medien und Hilfsorganisationen sollten Zutritt erhalten.

© dpa-infocom, dpa:211109-99-920003/7

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16 Kommentare
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  • Himbeergselchts am 11.11.2021 13:41 Uhr / Bewertung:

    Ach Bongo, wären unsere Politiker nicht so mit ihrem Postenschachern beschäftigt…….- würde ich sagen: Merkel, Maas, Scholz, Seehofer….. EU Länder. A….- hoch.
    Die werden hoch bezahlt. Merkel hat ja mit Putin telefoniert. Maas quatscht.
    Erdogan und Orban schicken ebenfalls ihre Flieger zum weißrussischen Folterknecht und Mörder.
    Und Politik glotzt. Gut, dass die darüber sprechen.

  • Heide Fröttmaninger am 11.11.2021 11:24 Uhr / Bewertung:

    Was mich mal interessieren würde: Warum sagt man seit geraumer Zeit zu Weißrussland 'Belarus'?
    Zumal 'Belarus' (Bielarus) vom russischen ins deutsche übersetzt... Weißrussland heißt.
    Oder anders herum gefragt - warum sagen wir nicht Suomi, Sverige, Norge, Srpska, Nippon oder Zhongguo?
    Und warum sagen die Weißrussen immer noch Hiermanii?
    Fragen über Fragen...

  • chgmuc am 10.11.2021 16:17 Uhr / Bewertung:

    Dank Merkel und EU Politik ist Deutschland zum Bittsteller in der Welt geworden, Honecker würde es mit Sicherheit freuen dass unser Land jetzt am Rand, anstatt in der Mitte steht wie es vor einer Regierung Merkel der Fall war!

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