Merkels Vetomacht

Erstmals gibt es Spitzenkandidaten, das Parlament hat mehr Macht, und die Regierungschefs können den höchsten Posten in der EU nicht mehr allein ausmauscheln. Aber ohne die deutsche Kanzlerin geht auch diesmal nichts.
München - Martin Schulz will es für die Sozialdemokraten werden, Jean-Claude Juncker für die Konservativen: Der Posten des EU-Kommissionspräsidenten ist erstmals mit "Spitzenkandidaten" umworben. Und erstmals bei dieser Wahl können die Regierungschefs des höchsten EU-Funktionärs nichts mehr allein im hinterzimmer ausmauscheln.
Es gilt der Vertrag von Lissabon von 2009. Demnach dürfen die Regierungschefs den Kandidanten nicht mehr einfach "benennen". Sie müssen ihn oder sie "vorschlagen". Dabei "soll" der Rat das Ergebnis der Wahlen berücksichtigen. Gewählt wird der Kommissionspräsident vom neugewählten Europa-Parlament.
Die Formulierungen lassen Raum für Interpretationen. Zwar reklamieren sowohl Juncker als auch Schulz das Amt für sich, aber sie machen die Rechnung ohne den Wirt, genauer: Die Wirtin. Die heißt in Europa Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Kanzlern versprach zwar nach dem Treffen mit Frankreichs Präsident Francois Hollande: "Wir werden alles dafür tun, dass der Wählerwillen reflektiert wird.". Das heißt aber nicht, dass es einer von beiden wird. Es gibt auch andere Merkel-Aussage: Es gebe "keinen Automatismus", dass es einer der beiden Kandidaten auf den Präsidentenstuhl schafft.
Laut letzten Umfragen kann die EVP mit einer knappen Mehrheit bei den Wahlen rechnen. Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker ist Merkel aber zu selbstbewusst. Das gleiche Merkel-Urteil trifft den Amtsinhaber Jose Manuel Barroso, der turnusmäßig noch bis Oktober amtiert.
Sie war ohnehin keine Freundin der Idee mit dem Spitzenkandidaten. Und dass sie den Sozialdemokraten Martin Schulz ins Amt verhilft, gilt aktuell als undenkbar. So ganz egal ist es der Kanzleri nämlich nicht, wer unter ihr Präsident wird. Wie geht's also weiter.
Der Rat und sein Vorsitzender van Rompuy, könnte einen dritten Kandidaten aus dem Hut zaubern, den die 751 Abgeordneten des EU-Parlaments dann wählen dürften. Den würde es sicher nicht ohne Plazet der Kanzlerin geben. Die Wahl könnte sich Monate hinziehen, Barroso bliebe solange geschäftsführend im Amt. Falls es dann endlich zur Wahl kommt, könnte man das auch "Reflexion des Wählerwillens" verkaufen. Matthias Maus