Merkels später Sieg über Schröder

Heute ist die Kanzlerin genau einen Tag länger im Amt – exakt 2584 – als ihr Vorgänger. Kühle Trippelschrittchen gegen wölfische Basta-Gesten – die AZ macht den Vergleich.
von  Annette Zoch
Ein echter Gerd: Weit ausgebreitete Arme, dazu dröhnendes Gelächter. Der Basta-Kanzler gab sich gerne proletarisch-volksnah.
Ein echter Gerd: Weit ausgebreitete Arme, dazu dröhnendes Gelächter. Der Basta-Kanzler gab sich gerne proletarisch-volksnah. © AP

Heute ist Bundeskanzlerin Angela Merkel genau einen Tag länger im Amt – exakt 2584 – als ihr Vorgänger. Kühle Trippelschrittchen gegen wölfische Basta-Gesten – die AZ macht den Vergleich.

Berlin - Diese Elefantenrunde hat Geschichte geschrieben: Am 18. September 2005, dem Abend der Bundestagswahl, pampte ein mit Testosteron bis unter die Hutschnur vollgepumpter Gerhard Schröder im Fernsehen die fassungslose CDU-Vorsitzende an: „Es gibt einen eindeutigen Verlierer: Und das ist nun wirklich Frau Merkel“, dröhnte Schröder.

Wie hat er sich geirrt. Heute ist Bundeskanzlerin Angela Merkel genau einen Tag länger im Amt als Gerhard Schröder: 2584 Tage. Schröder hat Merkel unterschätzt, wie so viele andere Politiker auch. „Wer sie unterschätzt, hat schon verloren“, hat CSU-Chef Horst Seehofer einmal gesagt. Merkel ist heute in Europa mächtiger, als es Schröder je war. Die Deutschen lieben sie. Von Wechselstimmung ist nichts zu spüren. Was Merkel anders macht? Die AZ erklärt’s.

Ihre Macht-Taktik. Merkel war ihrem Ziehvater Helmut Kohl eine gelehrige Schülerin: Aussitzen ist etwas, das Bundeskanzlerin Angela Merkel fast so gut kann wie der Dicke. Das Kernland der CDU, Baden-Württemberg, ist bei Landtagswahlen verloren gegangen. Im Bundesrat blockiert Rot-Grün alle wichtigen Vorhaben. In einer ähnlichen Situation steckte Schröder nach der verlorenen NRW-Wahl 2005. Schröder rief damals Neuwahlen aus.

Und Merkel? Sie sitzt aus. Der Koalitionspartner zerlegt sich, der Präsident stürzt, halb Europa hasst sie – und Merkel sitzt aus. Sie schafft es, dass all dies nicht auf sie zurückfällt. Im Gegenteil: Das Chaos lässt sie als einzig verlässlichen Fels in der Brandung wirken. Sie lässt die anderen raufen, während sie still ihre Strippen zieht.

Ihr Image. Die Körpersprache sagt alles: Schröder war der Mann für ausholende Gesten, für wölfisches Gelächter, für „Hol mir ma ne Flasche Bier!“ Merkel setzt die Dreiecks-Geste dagegen, sie soll Besonnenheit zeigen, sagen Körpersprache-Experten. Merkel geht analytisch-kühl vor. Bestes Beispiel ist Europa: Der symbolische Wert Europas ist Merkel herzlich wurscht. Sie hält nichts von Sentimentalitäten. Ihr geht’s um wirtschaftlichen Erfolg, deshalb hat sie eine sehr deutsche Perspektive auf Europa. Dabei macht sie viele Fehler, ihr langes Zögern hat die Griechenland-Rettung erst so teuer gemacht. Aber ihre Fehler korrigiert sie lautlos – und macht weiter.

Ihr Verhältnis zu ihrer Partei. Auch hier gibt’s Gemeinsamkeiten zu Schröder: Sowohl Schröder als auch Merkel haben ihre Parteien vor inhaltliche Zerreißproben gestellt. Schröder mit den Hartz-Reformen, Merkel zum Beispiel mit der Energiewende und der Familienpolitik. Die alten, westdeutschen Konservativen sehen mit Schrecken, wie Merkel ihre alte Union sozialdemokratisiert.

Aber es gibt keine ernstzunehmende Alternative. Die CDU ist Merkel. Lange haben Parteifreunde diesen Durchmarsch nicht wahrgenommen, weil Merkel dabei so kleine Schritte gemacht hat. Jetzt ist sie auf dem Zenith der Macht. „Sie ist wie eine Mischung aus Kohl und Adenauer“, sagt ein CDU-Vorstand. Nur noch nicht so lange im Amt.

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