Merkels neuer Regierungssprecher: Frisch ans Werk
Für ihren neuen Sprecher Steffen Seibert war gestern der erste Arbeitstag, für Merkel der erste nach dem Urlaub: Auf die Regierung warten jede Menge Baustellen und Sprengsätze
BERLIN Zurück am Schreibtisch: Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gestern ihren ersten Arbeitstag nach dem Urlaub – in Berlin geht das politische Leben wieder los. Und es warten zahlreiche Baustellen auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Weichenstellungen für die Union, aber auch für das gesamte Land: Wie modern wird Deutschland – zum Beispiel in Sachen Energieversorgung oder Wehrpflicht.
Der erste Programmpunkt war gestern eher noch launig: die offizielle Einführung ihres neuen Regierungssprechers Steffen Seibert. „Natürlich bin ich nervös. Es ist wie Abi, Führerscheinprüfung und diverse andere Dinge zusammen“, räumte der bisherige ZDF-Mann bei seinem ersten Auftritt in der Bundespressekonferenz offen ein. Das wenige, was er über sein neues Amt wisse, verdanke er einem Crash-Kurs seines Vorgängers Ulrich Wilhelm. Eine seiner ersten Botschaften: Die Koalition sei „seetüchtig“. Seine neue Chefin – braun gebrannt und sichtlich erholt – sagte ihrem Sprecher launig „größtmögliche Offenheit“ zu und „Zugang zu den eigentlichen Ecken und Räumen“. Lächelnd ergänzte sie: „Ich werde versuchen, mich so vernünftig zu verhalten, dass Sie möglichst wenig Arbeit mit mir haben.“ Das wird sich zeigen – die wichtigsten Baustellen:
Energien der Zukunft. Ende August soll das Energiekonzept vorliegen, für das Experten gerade verschiedene Szenarien durchrechnen. Das Thema ist hochexplosiv: Umweltminister Norbert Röttgen sieht Kernkraft nur als „Übergangstechnologie“, möchte die Laufzeiten nur moderat verlängern. Das wäre auch leichter durchsetzbar: Bei unter zehn Jahren könnte vermutlich der Bundesrat umgangen werden. Andere starke Kräfte in der Union setzen dagegen zentral auf die Atomkraft. Dritter Spieler sind die Konzerne, für die viel Geld auf dem Spiel steht und die entsprechend pokern. Denen gab Seibert gestern schon mal eine Warnung mit: In Merkels Namen kritisierte er „Drohgebärden während laufenden Gesprächen“. Inhaltlich geht es um die künftige Energieversorgung. Politisch spannend ist, wie stark sich Schwarz-Grün-Fan Röttgen durchsetzen und für Höheres profilieren kann.
Wehrpflicht. Vor einem Jahr hätte wohl kaum jemand es für wahrscheinlich gehalten, dass ein CSU-Minister derart ein Markenzeichen der Union in Frage stellt: Karl-Theodor zu Guttenberg will die Wehrpflicht de facto abschaffen, plant eine radikale Reform – zum Entsetzen vieler Parteifreunde: zum einen aus Spargründen, zum anderen aus der Überzeugung, dass sich die Wehrpflicht überlebt hat. Intern hat Merkel bereits signalisiert, dass sie Publikums-Liebling Guttenberg nicht bremsen wird. Offenen Rückhalt bietet sie allerdings auch nicht. Wer sich hier durchsetzt, ist noch offen. Auch für Guttenberg kann ein Sieg seine Karriere beeinflussen. Konservative in der Union befürchten, dass das Profil ihrer Partei weiter verwässert wird.
Hartz IV. Das ist das Spielfeld von Ursula von der Leyen, auch sie eine der kommenden Führungsfiguren der Union. Hier kommen mehrere Konfliktfelder zusammen: Das Urteil aus Karlsruhe, dass es bisher zum Teil zu wenig gibt, muss umgesetzt werden – aber woher soll das Geld dafür kommen? Und: Wie sollen die Leistungen fließen, als Bargeld oder Gutschein? Hier sperrt sich vor allem die CSU gegen Leyens Pläne.
Gesundheit. Aus dem geplanten großen Wurf ist nichts geworden: zu unversöhnlich waren die Positionen von FDP und CSU. Nun gibt es einen Mini-Kompromiss – Beitragserhöhung – die für ein paar Monate Zeit kauft, anstehende Reformen aber nur aufschiebt. Auch das aktuelle Konzept kann mit seinen noch etwas unausgegorenen Sozialausgleichs-Modellen noch für Sprengstoff sorgen.
Sicherungsverwahrung: Hier heißt es Schwarz gegen Gelb. Gerade erst hat sich FDP-Chef Westerwelle auf die Seite seiner Justizministerin gestellt, und damit gegen die Union. Ein neues Gesetz muss bald kommen, sonst die Freilassung von bis zu 100 gefährlichen Straftätern.
Genug Stoff für Merkel. Aber wie sagte gerade Altkanzler Schröder in einem Interview über Urlaube als Regierungschef: „Ausgeruht kann man besser kämpfen.“ tan