Merkels Mission in Tiflis

„Ich rufe alle Beteiligten dazu auf, nicht ewig in der Ursachenforschung zu verharren, sondern den Blick nach vorne zu richten.“ Die Kanzlerin im Kaukasus: Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft in Georgien den seltsamen Präsidenten Michail Saakaschwili. Öffentlich gab’s Zuspruch, intern auch kleine Rügen.
TIFLIS Vor 20 Jahren war Bundeskanzlerin Angela Merkel schon einmal in Georgien: Die junge DDR-Wissenschaftlerin reiste als Touristin die grusinische Heeresstraße von Nordossetien bis Tiflis entlang. Gestern war sie wieder da: als deutsche Regierungschefin und Vermittlerin im aktuellen Kaukasus-Krieg.
Im Vorfeld hieß es aus deutschen Regierungskreisen, sie habe zwei Botschaften für Präsident Michail Saakaschwili im Gepäck. Die gute: Sie will sich für den kompletten Abzug der Russen einsetzen und für ein Georgien kämpfen, dessen Grenzen respektiert werden. Die schlechte: Sie werde ihn im Vier-Augen-Gespräch offen auf sein Vorgehen in Südossetien ansprechen. Sie sei der Ansicht, Saakaschwili habe Moskau falsch eingeschätzt. Und noch eine Rüge zu seinem Vorwurf, die Nato sei mitschuld am Krieg, weil sie Georgien im April nicht in das Anwartschaftsprogramm aufgenommen habe: Merkel sei im Gegenteil der Ansicht, dass eine Aufnahme Georgiens Saakaschwili zu einem noch schärferen Vorgehen in Südossetien verleitet hätte, wird das Kanzleramt in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zitiert.
Was auch immer hinter verschlossenen Türen geredet wurde – beim gemeinsamen öffentlichen Auftritt mit Saakaschwili sparte sie sich kritische Worte – anders noch als beim Gipfel mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew am Freitag in Sotschi, dem sie gesagt hatte, das russische Vorgehen sei „unverhältnismäßig“ gewesen. Dafür wurde sie von Saakaschwili euphorisch gelobt: „Ich bin beeindruckt. Sie hat sofort begriffen, was Sache ist.“
In Tiflis forderte Merkel eine unbedingte Einhaltung der Waffenruhe und versprach Georgien Wiederaufbauhilfe. Außerdem versicherte sie, dass die Tür der Nato weiter offenstehe: „Georgien wird, wenn es das will, und das will es ja, Mitglied der Nato werden.“ Im April hatte die Nato trotz des Drängens der USA die Aufnahme in das Vorprogramm zunächst verweigert, aber eine langfristige Perspektive nicht ausgeschlossen. Merkel in Tiflis: „An dieser Lage hat sich nichts geändert.“
Vereinnahmen lassen wollte sich die deutsche Kanzlerin aber auch nicht. Auf die georgischen Vorwürfe, Russland sei schuld an der Eskalation, sagte sie: „Ich rufe alle Beteiligten dazu auf, nicht ewig in der Ursachenforschung zu verharren, sondern den Blick nach vorne zu richten.“ Zunächst sollten möglichst schnell internationale Beobachter den russischen Truppenabzug überwachen und Rot-Kreuz-Helfer Zugang zu den Flüchtlingen erhalten.
Russland versprach, am heutigen Montag mit dem Truppenabzug zu beginnen. Vorausgegangen war ein offenbar hartes Telefonat zwischen EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy und Medwedew. tan