„Merkel versucht, die Menschen einzulullen“
Nach dem TV-Duell spürt der Herausforderer Rückenwind: Er findet das Gezänk zwischen CSU-Chef Seehofer und FDP peinlich – und macht den Liberalen Avancen für eine Ampel-Koalition. Frank-Walter Steinmeier im AZ-Interview.
AZ: Herr Steinmeier, Horst Seehofer macht den Ober-Kümmerer und der SPD die Wähler abspenstig. Er kämpft für soziale Gerechtigkeit. Braucht's da noch Steinmeier und die SPD?
FRANK-WALTER STEINMEIER: Herr Seehofer kämpft doch nicht gegen den Marktradikalismus, sondern allenfalls gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Starke Teile der CSU wollen den Gesundheitsfonds und damit den Steuerzuschuss für Krankenkassen abschaffen. Das hieße: höhere Krankenkassen-Beiträge oder schlechtere Leistungen. Und Wirtschaftsminister Guttenberg legt ein Geheimpapier vor, in dem es heißt: weniger Arbeitnehmerrechte, Streichung von Mindestlöhnen, Steuersenkungen für Unternehmer und Spitzenverdiener. Das soll sozial gerecht sein?
Hoffen Sie, dass Seehofers Kleinkrieg mit der FDP nach hinten losgeht und Schwarz-Gelb im Bund verhindert?
Ehrlich gesagt: Dieses Gezänk finde ich peinlich und entlarvend. Das Einzige, was Union und FDP zusammenhält, ist die Aussicht auf Posten, die sie schon vor der Wahl öffentlich verteilen. Frau Merkel will Schwarz-Gelb auch mit nur einer Stimme Mehrheit im Bundestag. Mir wird da ein bisschen bange ums Land: Schwierige Zeiten, uralte Konzepte, drei Parteien und dazu Horst Seehofer in München. Ich bin überzeugt: Schwarz-Gelb wäre ein riskantes Experiment in den nächsten Jahren.
Seehofer will jetzt ohne die CDU ein eigenes 100-Tage-Programm der CSU vorlegen. Was setzen Sie dagegen?
Herr Seehofer ist nervös geworden. Im TV-Duell ist offensichtlich geworden, dass Frau Merkel einen Wahlkampf ohne Inhalte, ohne Konzepte, ohne Ziel und ohne Richtung führen will. Nicht einmal die eigene Anhängerschaft ist davon überzeugt. Und die Bevölkerung lässt sich nicht einzulullen, sondern verlangt nach Antworten und Orientierung. Das bleibt Frau Merkel schuldig. Deswegen versucht die CSU, sich abzusetzen. Wen soll das überzeugen, wenn die CSU jetzt hektisch ein Papier zusammenschustert? Wir haben den seriösen Weg gewählt: Mein Konzept für mehr Arbeit und neue Beschäftigung, der Deutschland-Plan, liegt seit Anfang August vor.
2002 waren es Oder-Flut und Irak-Krieg, 2005 Stoibers Ossi-Beschimpfung und Professor Kirchhof. Was muss jetzt noch passieren, um der Union den Sieg zu nehmen?
Frau Merkel versucht, die Menschen einzulullen. Sie verweigert die Auseinandersetzung über Richtung und Inhalte. Das wird scheitern. Bei uns wissen die Menschen, woran sie sind: Wir wollen Mindestlöhne, eine wirksame Begrenzung von Managergehältern, ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin und ein Festhalten am Atom-Ausstieg.
Auch bei dieser Wahl geht es wieder um Krieg und Frieden. Diesmal aber profitieren nur die Linken. Bitter für Sie?
Ich verstehe die Kritik und die Fragen der Menschen sehr gut. Aber wir müssen verantwortlich und vernünftig bleiben. Wir sind nicht kopflos nach Afghanistan gegangen, und wir dürfen auch nicht kopflos rausgehen. Afghanistan muss selbst für seine Sicherheit sorgen können, möglichst zügig. Dann werden wir uns zurückziehen. Wenn die bayerische Staatsregierung mehr Polizei-Ausbilder schickt, geht es schneller. Bisher ist Bayern trauriges Schlusslicht in dieser Bilanz.
Schröder hat ein konkretes Datum zum Abzug der Bundeswehr gefordert. Erst waren Sie dagegen. Jetzt verkünden Sie 2013. Ist Afghanistan für solche Wahlkampfmanöver nicht viel zu ernst?
Ich will bis 2013 mit der afghanischen Regierung ein konkretes Abzugsszenario vereinbaren. Das ist die Wegmarke, die ich gesetzt habe. Die Bundeswehr ist dort, um sich überflüssig zu machen – so schnell wie möglich. Ein festes Abzugsdatum ist nicht sinnvoll.
Die SPD musste viel Federn lassen in der großen Koalition. War der Preis zu hoch?
Die große Koalition trägt eine sozialdemokratische Handschrift. Wir haben unsere Ideen weitgehend durchgesetzt. Ich nenne nur das Elterngeld, mehr Ganztagsbetreuung, Mindestlöhne in vielen Branchen, die Konjunkturpakete und das längere Kurzarbeitergeld. Die Union hat aber auch viele gute Ideen verhindert: einen gesetzlichen Mindestlohn, mehr Geld für Bildung, bessere Regeln für Jobcenter oder ein einheitliches Umweltrecht.
Sind Sie froh, wenn die große Koalition vorbei ist?
Sie sehen doch, wie die SPD jetzt mit vollem Einsatz für eine bessere Politik kämpft. Wir wollen Deutschland vom Kanzleramt aus gestalten: mit Volldampf für neue Arbeit in Zukunftsbranchen. Mit mehr Geld für bessere Bildung. Mit einer realistischen Steuerpolitik. Und mit der Verpflichtung zum sozialen Ausgleich.
Wen würden Sie am meisten vermissen: Merkel oder Karl-Theodor zu Guttenberg?
Ich kann mir mein Leben sehr gut ohne die beiden vorstellen.
Im Osten werden die Linken stärkste Partei. Können Sie Rot-Rot-Grün da überhaupt noch ausschließen?
Bei welchem Wahrsager haben Sie sich denn das erzählen lassen? Für die Bundesebene gilt unser klarer Beschluss: keine Regierungs-Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Denn diese Partei verspricht allen alles und würde Deutschland außenpolitisch in die Ecke stellen.
Aus einer Ampel wird auch nichts. Oder bringen Sie Westerwelle zum Wortbruch?
Warten wir doch das Ergebnis erst mal ab! Danach werden wir sehen, was geht.
Bliebe nur die große Koalition. Wollen Sie doch am liebsten Vizekanzler bleiben?
Niemand strebt die große Koalition an. Ich will Bundeskanzler werden, weil ich die besseren Konzepte für mehr Arbeit, bessere Bildung und soziale Gerechtigkeit habe. Politik durchsetzen kann man am besten als Kanzler, weil man dann die Richtlinien bestimmen kann.
Kann das Unentschieden im TV-Duell Sie und die SPD noch rausreißen?
Welches Unentschieden? Die meisten Menschen haben offenkundig ein anderes Urteil. Ich spüre, dass die Union seit Sonntag in die Defensive geraten ist. Es gibt zunehmende interne Kritik an Frau Merkel. Dagegen ist in der SPD die Stimmung deutlich gestiegen. Meine Partei verspürt Rückenwind seit dem TV-Duell und ist für die letzten Tage des Wahlkampfes bis in die Haarspitzen motiviert.
Was machen Sie, wenn Merkels Traum in Erfüllung geht und Sie nicht mehr mit Ihnen regieren muss? Haben Sie dann schon einen Beraterjob wie Schröder in Aussicht?
Noch einmal: Für Schwarz-Gelb wird es keine Mehrheit geben. Merkels schwarz-gelbe Träume sind nur Schäume. Die platzen am 27. September wie Seifenblasen. Über meine persönliche Zukunft mache ich mir keine Gedanken. Ich habe ein Ziel: Ich will Kanzler werden!
Es gibt aber auch Stimmen in der SPD, dass Opposition der Partei zur Regeneration gar nicht schlecht täte.
Die SPD hat einen Sack voller guter Ideen und Vorschläge, die wir durchsetzen wollen. Meine Vorstellung von Politik ist: Machen statt meckern. Keiner bei uns hat Sehnsucht nach der Opposition.
Ist die große Zeit der Volkspartei SPD so oder so vorbei?
Da geht es uns wie der Abendzeitung: Die Auflage war schon mal besser, aber sie wird mehr denn je gebraucht.
Angela Böhm und Anja Timmermann