Merkel und Steinmeier: Bruch nein, Krach ja

Wettstreit der Ober-Taktierer ums Wahlrecht: Eine verfassungswidrige Regelung nützt der Union – und die SPD traut sich nun doch nicht, sie mit Linken und Grünen sofort abzuschaffen
von  Abendzeitung

BERLIN - Wettstreit der Ober-Taktierer ums Wahlrecht: Eine verfassungswidrige Regelung nützt der Union – und die SPD traut sich nun doch nicht, sie mit Linken und Grünen sofort abzuschaffen

Auf einen Bruch der Koalition in letzter Minute will es die SPD doch nicht ankommen lassen – aber ein massiver Krach mit der Union ist auf jeden Fall da: Es geht um eine Wahlrechtsänderung, über die am Freitag abgestimmt wird. Sie kann den Ausgang der Bundestagswahl entscheidend beeinflussen.

Am Wochenende gab es Berichte, die SPD wolle zusammen mit Grünen und Linken für die Änderung stimmen – das wäre ein offener Bruch des Koalitionsvertrages. Die SPD-Spitze dementierte gestern: „Die Sozialdemokraten sind selbstverständlich koalitions- und vertragstreu“, hieß es nach der Präsidiumssitzung. Allerdings müsse die Union erklären, warum sie das Risiko eingehen wolle, ein als verfassungswidrig eingestuftes Gesetz nochmal für die nächste Wahl anzuwenden.

Denn inhaltlich muss das Gesetz in der Tat geändert werden – die Frage ist nur wann. Karlsruhe hat als spätesten Termin 2011 genannt. Von der alten Regelung würde nach den Umfragen massiv die Union profitieren. Entsprechend will sie erst nach der Wahl abstimmen lassen.

Bei dem Streit geht es um die Überhangmandate. Sie entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach Zweitstimmenergebnis zustehen: Sie darf sie behalten. Kleine Parteien wurden dadurch schon immer benachteiligt. Bei den großen Parteien profitierte mal die eine, mal die andere – vor allem 2002 nutzte es der SPD.

Für 2009 hat Wahlforscher Joachim Behnke auf Basis der aktuellen Umfragen errechnet, dass die SPD allenfalls mit zwei oder drei Extra-Mandaten rechnen kann, die CDU aber mit 21. Ohne diese Überhangmandate liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Sieg von Schwarz-Gelb derzeit bei 66 Prozent – mit ihnen bei 90. Dass die Union derart profitieren würde, liegt an der „historischen einmaligen Situation“ (Behnke), dass die stärkste Partei mit 35 Prozent selbst weit von der 50-Prozent-Marke entfernt ist, die zweitstärkste Partei aber einen so großen Abstand zu ihr hat.

Das Verfassungsgericht hat vor einem Jahr die ganze Überhangmandate-Regelung für verfassungswidrig erklärt und ihre Abschaffung verfügt – bis spätestens 2011. Grüne und Linke legen nun ein Gesetz vor, bereits für die Wahl im September auf Überhangmandate zu verzichten. Und werben bei der SPD um Zustimmung: „Verfassungswidrige Gesetze müssen gleich geändert werden und nicht später“, sagt die grüne Fraktionschefin Renate Künast.

„Dafür habe ich große Sympathie“, wurde SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann am Wochenende zitiert. Doch die SPD-Spitze pfiff ihn zurück. Erstens steht im Koalitionsvertrag klar, dass die Partner gemeinsam abstimmen. Zweitens müsste die SPD mit der Linken stimmen – gefundenes Wahlkampffutter für die Union. Und drittens hat sie offenbar nicht die Kraft, sich hier gegen die Union durchzusetzen.

Doch selbst in der CDU haben manche Bauchschmerzen: Bei knappem Ausgang droht eine Regierungsbildung auf Basis einer klar verfassungswidrigen Rechenregel. Das will dann auch die SPD ausführlich thematisieren.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.