"Merkel ist der Anti-Trump"
München - AZ-Interview mit Werner Weidenfeld: Der 70-Jährige ist Professor am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) an der LMU München.
AZ: Herr Weidenfeld, worin sehen Sie die Hauptknackpunkte einer Jamaika-Koalition?
Werner Weidenfeld: Die sehe ich praktisch gar nicht. Alle Partner haben ein Interesse daran, eine Regierung zu bilden. Und sie haben keine Alternative zu Jamaika, deshalb werden sie Kompromisse suchen und auch finden. Die Kleinen – dazu zähle ich auch die CSU – werden in den Koalitionsverhandlungen zwar großes Getöse machen, aber das wird nicht so substanziell sein, dass es am Ende zu keiner Regierungsbildung kommt.
Jedoch gibt es Themen, bei denen die möglichen Partner meilenweit auseinander liegen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass sich CSU und Grüne beim Thema Flüchtlingsobergrenze einigen können.
Da wird sicherlich eine sprachliche Lösung gefunden, die bei der CSU als Obergrenze und bei den Grünen als nicht existierendes Limit verkauft werden kann. Das ist einfach nur eine sprachliche Herausforderung.
Sind Sie fest davon überzeugt, dass künftig Schwarz-Gelb-Grün Deutschland regiert?
Ja, davon gehe ich aus. Man wird Kompromisse machen und dabei darauf achten, dass jeder das ein oder andere Thema durchbringt. So wurde das bei früheren Koalitionsverhandlungen ja auch gemacht.
"Die SPD hat sich im Wahlkampf in Details verrannt"
Waren Sie verwundert, dass Schulz und die SPD gleich am Wahlabend erklärt haben, in die Opposition zu gehen?
Eigentlich nicht. An der Basis der SPD gibt es schon seit Längerem große Zweifel an der Zukunft dieser traditionsreichen Partei. Die Sozialdemokraten lagen schon mal bei über 40 Prozent bei Bundestagswahlen. Jetzt versuchen sie, eine umfassende Regeneration hinzubekommen, damit diese stolze Programm-Partei nicht einfach so verschwindet.
Wird sich die SPD in den nächsten vier Jahren als Oppositionsführerin erholen?
Sie wird es zumindest versuchen. Ob es am Ende gelingt, hängt davon ab, wie sie agiert.
Wie muss sie agieren?
Sie darf sich nicht wie jetzt im Bundestagswahlkampf in Details verrennen, ob der Bürger irgendwo 20 Euro mehr bekommt oder nicht. Nach der anfänglichen Aufbruchstimmung um Martin Schulz haben er und seine Partei programmatisch nichts mehr geboten. Die SPD hätte das Gesellschaftsbild der Zukunft aufzeigen müssen. Von der programmatischen Strahlkraft eines Willy Brandts mit seiner Entspannungspolitik und seinem Motto "Mehr Demokratie wagen" ist bei der SPD praktisch nichts mehr geblieben. Sie hat sich nur in Details verrannt, das war das Manko der Sozialdemokraten im Wahlkampf. Doch wenn die Partei es schafft, an den Pragmatismus der Brandt-Ära anzuknüpfen, dann hat sie alle Chancen.
Hat Sie der Triumph der AfD überrascht?
Nein. Interessant ist nur, dass sie leicht höher abgeschnitten hat, als es die Meinungsforscher vorausgesagt haben.
Warum?
Weil bei derart populistischen Parteien die Bereitschaft, sich als Anhänger zu outen, begrenzt ist. Vor der Wahl sagen weniger Leute, dass sie der AfD ihre Stimme geben, als es am Ende dann tatsächlich tun.
Was waren die Hauptgründe für den Erfolg der Partei?
Der Hauptgrund ist das Agieren der Traditionsparteien, die keine strategische Bindungskraft entwickelt haben. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen verunsichert sind. Ich nenne das das Zeitalter der Konfusion. Viele verstehen gar nicht mehr, was in der Welt alles abläuft. Wer sagt mir eigentlich, wie diese Gesellschaft in fünf oder zehn Jahren aussieht? Das führt zu Frustration und viele sagen sich, dass sich sowieso niemand um sie kümmert.
Dann gibt es Leute, die bleiben bei der Wahl zuhause oder geben ihre Stimme aus Protest der AfD. Vor zehn Jahren wäre eine Partei, die so massive interne Konflikte hat, sofort wieder verschwunden. Das ist den Leuten inzwischen aber egal, Hauptsache sie können mit ihrer Stimme für die AfD ihren Frust abladen.
Die Flüchtlingskrise und ihre Folgen haben aber auch ihren Anteil am Erstarken der AfD.
Die Flüchtlingskrise spielt auch eine Rolle, ist aber nicht die Erklärung für alles. Hauptursache ist das Deutungs- und Orientierungsdefizit der Traditionsparteien. Damit haben sie einen großen Markt geöffnet, in dem die Leute frustriert, verängstigt und konfus sind, weil ihnen in einer zunehmend globalisierten Welt keiner sagt, wo es eigentlich langgeht.
"Seehofer wird die rechte Kante schärfen"
Welche Rolle spielt beim Aufstieg der AfD die Politik von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sie hat die CDU in den vergangenen Jahren ein Stück weit nach links gerückt. Ist nicht erst dadurch am rechten Rand ein Vakuum entstanden?
Das halte ich für übertrieben. Das, was Frau Merkel betreibt, ist ein Versuch einer zuverlässigen Stabilisierungsmitte. Ihre Politik ist zuverlässig, harmonisierend, pragmatisch. Sie versucht, nicht zu polarisieren, keine Spannungen hochzutreiben. Im Grunde ist Merkel der Anti-Trump. Daraus eine Linkswendung von ihr abzulesen, halte ich für überzogen. Merkel ist weder rechts noch links.
In der CSU rumort es nach dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1949 heftig. Sitzt Horst Seehofer noch fest im Sattel?
Ja. Die CSU war schon mal in so einer Stimmung und hat dann die Ära Stoiber beendet. Dieser Schritt war allerdings nicht erfolgreich. Daraus dürfte die Partei gelernt haben. Außerdem ist die CSU kurz vor der Landtagswahl. Gewissermaßen begann am Wahlabend der Landtagswahlkampf. Nun eine komplette Veränderung des Spitzenpersonals zu betreiben, wäre ein gefährliches Unterfangen, zu dem ich nicht raten würde. Die Alternative, die Seehofer nun anstrebt, ist eine starke Rolle in Berlin. Die CSU wird ein höchst unbequemer Koalitionspartner. Seehofer wird ein starkes Personal installieren, damit seine Partei auf Bundesebene sichtbar ist. Die CSU wird massiv mitregieren und keinen Konflikt auslassen. Seehofer wird die rechte Kante schärfen, das hat er bereits am Wahlabend angekündigt. Was die CSU an diesem Wahlergebnis besonders trifft, ist, die Weisheit von Franz Josef Strauß nicht erfüllt zu haben. Er hat immer gesagt, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Die gibt es mit der AfD jetzt aber. Also muss die CSU nun einen bayerisch-patriotischen Kurs fahren.
Die CSU wird also nach rechts rücken?
Klar, sie wird ihre rechte Kante besonders hart artikulieren.
Wie erklären Sie sich die fulminante Rückkehr der FDP? Ist diese nur Parteichef Christian Lindner zu verdanken?
Der Erfolg der Liberalen hat drei Gründe, zum einen natürlich Lindner. Das ist ein Einzelkünstler, ein Allrounder. Der tritt auf wie ein amerikanischer Showmaster, souverän, spricht immer völlig frei, geht auf der Bühne auf und ab. Diese Art der Selbstdarstellung ist schon etwas Besonderes in der deutschen Politik. Das Zweite ist, dass er eine liberale Botschaft verkündet hat. Ob die bis übermorgen trägt, ist eine andere Sache. Aber jetzt für diesen Augenblick hat er nicht nur einzelne Details gefordert, sondern einen liberalen Geist versprüht. Die dritte Quelle des Erfolges ist die Schwäche der Volksparteien. Den Markt, den sie geöffnet haben, der stand nicht nur der AfD, sondern auch der FDP offen. Wenn jemand sagt, ganz so dramatisch ist es mit Union und SPD ja nicht, der wählt nicht gleich AfD, sondern entscheidet sich stattdessen für die Liberalen.