Mein Leben mit Krebs: Drei bayerische Politiker erzählen

Nach dem Fall Oskar Lafontaine: Die drei bayerischen Politiker Barbara Stamm, Sepp Daxenberger und Christine Strobl sprechen in der AZ von ihrem Leben mit Krebs.
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Nach dem Fall Oskar Lafontaine: Die drei bayerischen Politiker Barbara Stamm, Sepp Daxenberger und Christine Strobl sprechen in der AZ von ihrem Leben mit Krebs.

"Ich wollte es mit mir alleine ausmachen"

Landtagspräsidentin Barbara Stamm hat den Krebs überstanden

Ich wollte mit niemandem darüber reden. Nicht mal mit meinem Mann und meinen Kindern. Als ich letztes Jahr im März einen Knoten in meiner linken Brust ertastet habe, wollte ich niemanden in Angst und Schrecken versetzen. Ich selbst hatte schon Angst genug. Die wollte ich alleine mit mir ausmachen.

Der Knoten war bösartig. Ich musste erst mit mir selbst fertig werden. Da denkt man nicht mehr an die Politik. Der Landtagswahlkampf stand bevor. Mein Kalender war voller Termine. Ich musste mich zusammenreißen. Das hat mir sehr geholfen.

Nach der Operation stellte sich heraus, es war ein aggressives Karzinom. Aber Gott sei Dank hatte ich keine Metastasen. Die Chemo war ein Auf und Ab. Allein der Tag, als die Haare ausgingen. Am Schluss waren auch Augenbrauen und Wimpern weg. Das war das Schlimmste. Als ich so vor dem Spiegel stand, für dieses Gefühl gibt es keine Worte.

Politik war für mich eine Therapie. Ich habe keinen Termin sausen lassen. Ich habe mir immer wieder gesagt: Stamm, reiß’ dich zusammen. Du musst irgendwann irgendwo pünktlich sein. Da warten Leute auf dich. Stamm, schau’ nach vorne. Meine Kinder haben nie gesagt: „Mami, du schaffst es.“ Sie haben immer gesagt: „Wir schaffen es.“ Man muss sich da selbst an die Hand nehmen und glauben, dass es gut wird.

Zugegeben, einmal hatte ich während der Chemo eine ganz schlimme Phase. Mein Blutbild war so schlecht, dass ich Blutzufuhr brauchte. Da habe ich gesagt: Jetzt schmeiß’ ich hin. Dann hat mich meine Familie gepackt. Sie hat mich nicht schwächeln lassen. Ich hatte keine Chance, mich gehen zu lassen.

Lange habe ich gedacht, das geht niemanden was an. Aber ich habe mich verändert. Die Leute haben gemerkt, dass ich Perücke getragen habe, dass ich im Krankenhaus ein- und ausgegangen bin. Irgendwann musste ich an die Öffentlichkeit. Wenn man alles überstanden hat, freut man sich: Doch dann kommt die Angst vor der Nachuntersuchung. Die erste habe ich hinter mir. Es war eine gute Nachricht. Danke nach oben.

"Die neue Therapie ist die letzte Patrone"

Sepp Daxenberger, der 47-jährige Fraktionschef der bayerischen Grünen, kämpft seit sechs Jahren gegen einen seltenen Blutkrebs.

Es gab Tage, da hab’ ich mir gedacht, wenn ich jetzt einschlaf’ und nicht wieder aufwach’, dann wär’s mir auch recht. Vor allem, wenn ich große Schmerzen hatte und wieder im Krankenhaus lag. Aber ich hab’ noch so viel vor. Ich bin nicht einer, der lange grübelt. Das bringt ja alles nichts. Da reitet man sich nur noch mehr rein. Ich stürze mich in meine Arbeit.

Vor drei Wochen hab’ ich eine neue Therapie angefangen. Mir werden Blutblättchen transplantiert. Die sollen mein Immunsystem stärken. Alle vier bis sechs Wochen wird die Dosis gesteigert. Noch geht’s mir gut. Aber es wird heftige Nebenwirkungen geben. Es trifft die großen Organe. Es geht an die Haut und an den Darm. Das weiß ich. Angst hab’ ich nicht. Ein bisserl mulmig ist mir. Andererseits hoffe ich, dass die Nebenwirkungen kommen. Schließlich sind sie Voraussetzung für die Wirkung. Nur wenn’s blöd läuft, kann es sein, dass ich ein bis zwei Monate weg bin vom Fenster und wieder ins Krankenhaus muss. Aber das bin ich ja schon gewohnt.

Im Dezember 2003 haben die Ärzte bei mir Morbus Kahler entdeckt. Das ist eine seltene Mischung aus Blut- und Knochenkrebs. Heilbar ist er nicht. Man kann ihn nur stoppen. Nach der ersten Behandlung ging’s mir besser. Ich dachte, ich hab’s überstanden. Dann der Rückfall. Schließlich hab’ ich mich auch noch mit dem Epstein-Bar-Virus infiziert, weil mein Immunsystem völlig zerstört ist. Da können einem schon Gedanken kommen, dass man nicht mehr aufwachen möchte. Aber wenn man Kinder hat, hat man Verantwortung. Da kann man sich nicht einfach gehen lassen. Da bin ich nicht der Typ dazu. Ich war schon immer ein Optimist.

Als ich wieder einmal im Krankenhaus lag, hat mich meine Partei gefragt, ob ich Spitzenkandidat machen will. Ich hab’ mich Freude. Eigentlich wär’s mir in diesem Moment am liebsten gewesen, einfacher Abgeordneter zu sein. Politik auf Sparflamme. Aber das kann ich nicht. Wenn’s geht, muss ich Vollgas geben. Als Fraktionsvorsitzender kann ich’s mir nicht gemütlich machen.

Die Zweifel kommen nur, wenn ich wieder in der Klinik rumliege. Da liegt dann einer im Zimmer neben dir, der dasselbe hat wie ich. Dem geht’s eigentlich gut. 14 Tage später erfahre ich, dass er gestorben ist. Dann denk’ ich mir: Vielleicht war’s doch ein Fehler. Die Einschläge kommen näher.

Ich habe Schmerzen, bin sehr viel bei Ärzten, fast wöchentlich im Klinikum rechts der Isar. Bei meinem Beruf als Landwirt merke ich es schon. Mit der schweren körperlichen Arbeit ist es vorbei. Aber Politikmachen geht noch ganz gut. Ich bin politikverrückt. Mir macht Politik sehr viel Spaß. Sie gibt mir Selbstbestätigung, Selbstvertrauen. Deshalb ist sie für mich auch Therapie und neben meiner Familie der Grund, nicht aufzugeben. Ich brauche vielleicht mehr Pausen als früher.

Aus den Fugen hat der Krebs mein Leben nicht gebracht. Das hab’ ich nicht zugelassen. Ich hab’ versucht, ihn zu ignorieren. Viele Leute haben zu mir gesagt: Mensch Sepp, wenn man so krank ist, und dem Tod grad von der Schaufel gesprungen ist, wenn man nicht weiß, wie lang man lebt, da muss man sich doch noch ein schönes Leben machen! Geh’ in Urlaub. Reis’ in der Welt rum.

Das ist alles Schmarrn. Niemand weiß, wie lange er lebt. Auch einen gesunden Menschen kann morgen ein Auto überfahren. Mir hat mein Leben vor dem Krebs Freude gemacht. Deshalb wollte ich es mit Krebs auch nicht ändern. Natürlich gibt es immer depressive Phasen. Wenn man in der Früh aufsteht und einem alles weh tut, fragt man sich schon, warum tut man sich das alles an. Aber ich will mich nicht hängen lassen. Ich will nicht aufgeben. Mein Kampf ist kein Wellness-Programm, dass ich nur noch Spaziergänge mache und das tue, was ich gerne tue. Ich zwinge mich morgens aus dem Bett raus, mache meine Termine, Und ich streite mit dem politischen Gegner. Das ist für mich die beste Therapie.

Diese neue Therapie ist jetzt die letzte Patrone. Wenn’s nicht funktioniert, wird es schon schwierig. Dann gibt’s nicht mehr wirklich was. Aber daran denk’ ich jetzt nicht.

"Ich versuche, mich zusammenzureißen"

Christine Strobl, Bürgermeisterin von München über ihr Leben mit Krebs

Der Brustkrebs hat mein Leben sehr verändert. Natürlich habe ich mich auch gefragt, ob ich in der Vergangenheit alles richtig gemacht habe, aber wie es weitergeht, darüber will ich mir erst am Ende der Chemotherapie im April oder Mai Gedanken machen.

Ich kann jedem nur raten, mit der Krankheit offensiv umzugehen und mit Menschen seines Vertrauens über seine Gedanken zu reden. Man darf das nicht alles in sich reinfressen. Dann erspart man sich auch das Drumherumgerede. Das hat man jetzt auch bei den Gerüchten um Oskar Lafontaine gesehen.

Bei ihm und beim Tod des Torwarts Robert Enke spielt etwas mit, was auch mich immer mehr beschäftigt: Darf man zugeben, dass es einem schlecht geht? Muss man den Schein wahren? Ich meine nein. Darum bin auch ich im Herbst mit meiner Krankheit in die Öffentlichkeit gegangen. Heute bin ich froh, dass ich das getan habe. Dabei habe ich selbst einige Zeit gebraucht, bis ich Hilfe annehmen konnte. Heute kann ich das besser - und ich bin diese Woche nach der Chemo vier Tage lang von Freunden bekocht worden. Das ist schön.

Nach der Operation im Sommer bekomme ich jetzt Chemotherapie. Die nimmt mich mehr mit, als ich gedacht hatte. Da sind die Übelkeit und Schwindelanfälle, und ich merke, wenn ich körperlich etwas mache, dass die Kraft nicht mehr wie früher da ist. Das beeinflusst schon sehr meine Lebensqualität.

Nach einer Chemotherapie bleibe ich inzwischen eine Woche zu Hause. Danach bin ich wieder zwei Wochen im Büro. Das ist für mich auch sehr wichtig, denn man muss aufpassen, dass man nicht zu apathisch wird, sondern man muss herausgehen.

Ich bin dabei, mein Leben umzustellen. Auf jeden Fall achte ich jetzt mehr auf meine Ernährung und plane zwei bis dreimal in der Woche Sport und Bewegung ein. Ich merke, dass das mir und der Arbeit gut tut. Dabei versuche ich, auch für meine Familie alles so normal wie möglich zu machen, und ich versuche, mich zusammenzureißen.

Protokolle: Angela Böhm, Willi Bock

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