Massendemo in Kairo: Noch ist es ein Volksfest
KAIRO - Der „Marsch der Million“ in Kairo bleibt friedlich, das Militär hält sich zurück: Alle wollen den Sturz Mubaraks. Aber niemand weiß, wie es danach weitergeht, berichtet AZ-Autor Richard Gutjahr.
Erst sind es kleine Gruppen, später strömen sie zu Hunderten auf den Tahrir-Platz. Der Marsch der Million wird zu einer riesigen Demonstration, des Unmuts und gegen Präsident Hosni Mubarak. Noch bleibt alles friedlich. Sogar ein Hollywood-Star mischt mit. Es herrscht Stimmung wie auf einem Volksfest – nur was danach kommt, das weiß niemand so recht.
Die Demonstranten haben es sich auf Platz eingerichtet wie auf einem Campingplatz. Zelte, Picknickdecken und Lagerfeuer sind über den ganzen Platz verteilt. Irgendwo ragt ein Wasserhahn aus der Erde, ursprünglich zur Bewässerung des Rasens gedacht. Heute Nacht dient er als Waschplatz und Auffüllstation für leere Wasserflaschen. Aus den Lautsprechern dröhnt Musik. Immer wieder Sprechchöre. Es ist die Nacht vor dem Sturm, dem „Sturm der Millionen“, wie sie die Mega-Demonstration hier nennen. Eine Million Menschen sollen sich bis in die Abendstunden im Zentrum der Stadt versammeln. Dass es tatsächlich so viele werden könnten, ist gut möglich, für ganz Ägypten ist zum Generalstreik aufgerufen worden, und Kairo allein zählt schon über 20 Millionen Einwohner.
Ich springe von einem Fleckchen Wiese zum nächsten, bahne mir meinen Weg durch das Zeltlager. Es dauert nicht lange, bis mich eine Gruppe junger Männer zu sich ans Feuer einlädt und mir Tee anbietet. Wo ich herkomme, wollen sie wissen. „Bayan München?“, rufen sie begeistert.
Mohamed, 27, ist Chemiker, aber das heiße hier nichts. Man habe ein mieses Schulsystem, und ein Studium sei auch noch teuer. Wer studiert, hat es aber auch nicht besser als der Rest, denn Jobs gäbe es sowieso keine. „Ob Du arm bist oder reich, ob Du aus Suez stammst oder aus Kairo, ganz egal. Wir haben doch alle keine Zukunft.“ Mohammed verdient 800 Ägyptische Pfund, etwa 100 Euro im Monat. Früher sei das ganz okay gewesen, räumt er ein, aber die Preise seien in den letzten Jahren massiv angestiegen. Das Pro-Kopf-Einkommen in Ägypten beträgt zwei US-Dollar pro Tag.
Es ist eine Revolution der jungen Menschen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 24 Jahren und jeder, den ich spreche, ist im Internet unterwegs. „Facebook ist unser wichtigstes Kommunikationsmittel“, sagt Mohammed, „Wir sind alle bei Facebook.“ – „Und heute, wie kommuniziert Ihr heute?“, will ich wissen. Das Internet funktioniere doch nicht mehr. „Das hier ist jetzt unser Facebook!“ grinst der Mann und deutet auf den Platz um uns herum.
Ob arm ob reich, mit Schleier oder Kopftuch: Alle knipsen und filmen sie, was die Speicherkarte hergibt. Die Angst, von der Geheimpolizei erwischt zu werden, ist gewichen.
Ob er keine Angst vor neuen Ausschreitungen habe, will ich von Mohamed wissen. Nein, sagt er, die Armee sei ja hier. „Und die hält zu Euch?“ – „Die Armee, das sind wir. Denen geht es auch nicht anders wie uns.“ Mubarak müsse weg, da sind er und seine Kumpels sich einig. „Und danach?“, frage ich. „Was haltet Ihr von ElBaradei?“ – „Egal“, sagt Mohamed. „Jeder ist besser als Mubarak. Und wenn nicht, dann wählen wir ihn nach vier Jahren wieder ab.“
Ägypten, schon bald eine Demokratie mit regulären Wahlen? Das sieht ein junger Mann mit Kopftuch anders, der gerade dabei ist, Transparente zu malen. „Mubarak wird kämpfen“, sagt er. „Das ist ein zäher Hund. Er hat keinen Platz, wo er sonst hin könnte.“ Zur Not werde er die ihm hörigen Teile der Armee und die Polizei mobilisieren. Mein Gegenüber hat es eilig. Was dort auf dem großen Banner stünde, will ich noch von ihm wissen. Er überlegt kurz und übersetzt dann emotionslos: „Ägyptisches Blut gibt es nicht umsonst“.
Große Worte gibt es auch von einem großen Ägypter. Von seinem Hotelzimmer über dem Nil kommentiert Hollywood-Legende Omar Sharif („Lawrence von Arabien“) die Lage: „Mubarak muss weg“, sagt der 78-Jährige. „Das Volk ist König.“
Die Oppositionsparteien haben sich auf eine gemeinsame Linie geeinigt, hieß es am Nachmittag. Sie fordern den Sturz Mubaraks und dann mit Gespräche mit Vertretern des alten Regimes über eine Regierung der nationalen Einheit.
Reisewarnung
Das Außenministerium rät dringend von Reisen nach Ägypten ab. Das gab Minister Guido Westerwelle bekannt. Nach den Amerikanern gibt jetzt auch die Bundesregierung eine „verschärfte Reisewarnung“ heraus. Die großen deutschen Reiseveranstalter bringen bis Mitte Februar keine Urlauber mehr nach Ägypten. Die 30 000 Deutschen, die wohl noch in Ägypten Urlaub machen, sollen aber nicht außerplanmäßig heimgeholt werden. Der Lufthansa-Flug gestern Nachmittag vonMünchen nach Kairo wurde annulliert, die Abendmaschine der Egypt Air war zunächst von 17 Uhr auf 20.15 Uhr verspätet.
In Kairo hängen noch rund 4500 Ausländer am Flughafen fest. Passagiere berichten von chaotischen Zuständen. Einige sagen, sie hätten Polizisten auf dem Vorfeld bestechen müssen, um an Bord der Maschinen zu gelangen. „Wir mussten 2000 Dollar sammeln“, sagt ein Kanadier nach der Landung in Frankfurt. Die USA, China und andere Länder fliegen ihre Landsleute aus Ägypten aus. Selbst der Irak schickt Maschinen, um Landsleute „in Sicherheit zu bringen“.