Martin Schulz und der Kurs seiner SPD: Wundern und grämen

Es ist gar nicht so lang her, da ist Martin Schulz bei einer Podiumsdiskussion der Abendzeitung in den Kammerspielen aufgetreten; er war noch Präsident des Europäischen Parlaments.
Er sollte eine kurze Einführungsrede halten. Weil ihm sein Manuskript zu lang erschien, feuerte er es unters Pult und sprach 15 Minuten lang frei: über soziale Gerechtigkeit, über seine Ideen für die Gesellschaft in Deutschland und über Europa. Er redete mitreißend, argumentierte scharf, schon ganz der kommende SPD-Vordenker. Die Menschen im Saal, beileibe nicht nur Genossen, applaudierten ihm stehend.
Wo, wann und warum genau Schulz, der später ja wie ein Komet an die Parteispitze schoss, Antrieb und Strahlkraft eingebüßt hat, lässt sich kaum definieren.
Sicher ist: Als SPD-Vorsitzender wird er erkennbar falsch beraten. Aus dem visionären Rhetoriker mit deutlichen Kompetenzen wurde erst ein schwacher Wahlkämpfer – und nun ein zaudernder Verweigerer, der mit der Absage an Sondierungsverhandlungen schon am Wahlabend die falsche Taktik vorgegeben hat. Dass sich die SPD nun, nach dem Scheitern von Jamaika, lieber Neuwahlen als eine weitere GroKo wünscht, wird sie weitere Prozente kosten. Und hat Schulz als ihren neuen Anführer perspektivisch unbrauchbar gemacht.
Wer ihn in den Kammerspielen erlebt hat, kann sich darüber nur wundern. Und grämen.
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