Interview

Manfred Weber über den EU-Haushalt und die Corona-Hilfen

Der EVP-Fraktionschef pocht beim EU-Haushalt auf rechtsstaatliche Prinzipien. Mit dem Vorschlag des Rates ist er nicht zufrieden.
von  Prof. Dr. Martin Balle, Markus Lohmüller
Manfred Weber (CSU).
Manfred Weber (CSU). © Ulli Scharrer

München - Die EU steht vor wichtigen Weichenstellungen. Im Juli haben sich die Staats- und Regierungschefs auf Rekordausgaben von 1,8 Billionen Euro geeinigt. 1.074 Milliarden Euro entfallen dabei auf den mehrjährigen Finanzrahmen für 2021 bis 2027, 750 Milliarden Euro ist das Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der Corona-Krise schwer. Doch noch fehlt die Zustimmung des EU-Parlaments. Die Abgeordneten sind mit dem vorliegenden Finanzpaket nicht ganz zufrieden - das unterstreicht auch der EVP-Fraktionsvorsitzender Manfred Weber (CSU).

AZ: Herr Weber, scheitern der nächste EU-Haushalt und die Corona-Hilfen am Europaparlament?
MANFRED WEBER: Die jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschläge zeigen, dass Europa handlungsfähig ist. Beim Lockdown im März mussten wir erleben, wie Egoismus und sogar Nationalismus zurückkamen. Nun ist der Wille klar erkennbar, zumindest beim wirtschaftlichen Wiederaufbau zusammenzuhalten. Das begrüßen wir als Europäisches Parlament und auch als EVP-Fraktion. Aber wir werden nicht einfach alles schlucken, was man uns vorlegt, weil manches nicht ausgereift ist. Zum einen fordern wir mehr Zukunftsinvestitionen. Zum anderen wollen wir Geld nur ausgeben, wenn der Rechtsstaat in der EU hochgehalten wird. Wir brauchen einen verbindlichen Mechanismus, um sicherzustellen, dass wir unabhängige Medien und Gerichte in Europa haben und die Freiheit von Wissenschaft und Kunst gewährleistet ist.

Beim verbindlichen Rechtsstaatsmechanismus zeichnet sich bislang kein Kompromiss ab. Wie wollen Sie Ihre Änderungswünsche gegen den Widerstand von Ungarn und Polen durchsetzen?
Die EU wird in den nächsten sieben Jahren 1,8 Billionen Euro ausgeben. Bei so viel Geld erwarten die Menschen völlig zurecht, dass wir alles gegen Korruption, Vetternwirtschaft und den Missbrauch von Subventionen tun. Das ist das Prinzip dahinter. Deswegen gibt es eine klare Ansage: Es wird keine Zustimmung des Europäischen Parlaments zu diesen immensen Ausgaben geben, wenn es keinen funktionierenden Rechtsstaatsmechanismus gibt. Das müssen alle Staats- und Regierungschefs wissen. Da lassen wir uns auch nicht vorwerfen, dass wir irgendetwas verzögern. Es geht hier um das Wesen der EU als Werte- und Rechtsgemeinschaft. Wir sind beim Rechtsstaatsmechanismus und beim Haushalt seit eineinhalb Jahren verhandlungsbereit. Wir warten seit eineinhalb Jahren auf den Rat und konnten uns nicht bewegen, weil dieser keine Position formuliert hatte.

Kompromiss beim Rechtsstaatsmechanismus?

Am Ende läuft es also womöglich darauf hinaus, dass Corona-Hilfen in Höhe von 750 Milliarden Euro nicht rechtzeitig ausbezahlt werden können?
Es kommt jetzt auf den Kompromisswillen der Mitgliedstaaten an und ich warne davor, im Rat das Prinzip der Einstimmigkeit anzuwenden. Die Rechtslage ermöglicht auch dort eine Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit. Der Gesetzestext liegt am Tisch. Wir haben unsere Position, der Rat hat seine Position, jetzt lasst uns einfach verhandeln. Wenn wir mit gutem Willen rangehen, dann ist das machbar. Aber ich sage auch dazu, dass einzelne Staaten in dieser Frage kein Blockaderecht haben.

Was halten Sie vom Kompromissvorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft, welcher die Kriterien für sanktionierbare Rechtsstaatsverletzungen herunterschraubt?
Es ist gut, dass ein Vorschlag vorliegt. Er ist notwendig, damit Verhandlungen überhaupt beginnen können. Beide Gremien brauchen eine Position. Der Vorschlag scheint allerdings in dem Wissen formuliert worden zu sein, dass er so nie zum Zuge kommt. Wir nehmen ihn als Grundlage der Ratsseite zur Kenntnis. Aber das wird sicher nicht das Endergebnis sein.

Coronavirus: Folgen weitere Grenzschließungen?

Das EU-Parlament will auch mehr Ausgaben für Forschung, Bildung, Gesundheit und Klimaschutz. Wie realistisch ist das? Selbst eine Billion Euro kann man nur einmal ausgeben.
Die jetzt geplanten Ausgaben sind eine einmalige Chance für Europa. Wir stehen am Beginn einer neuen Dekade, nachhaltig geprägt auch von Corona. Das wird enorme Folgen haben. Wir stehen vor der Frage, wer in den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts die dominierende und bestimmende Kraft auf der Welt sein wird. China startet durch. China hat bereits wieder Wachstumsraten. Europa könnte in der Corona-Krise der Verlierer sein. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass unsere Finanzmittel - für die wir erstmals auch Schulden aufnehmen - wirklich in die Zukunft investiert werden. Ich möchte nicht, dass mit europäischem Schuldengeld irgendwelche Wahlversprechen von Regierungen in irgendwelchen EU-Ländern finanziert werden, sondern zum Beispiel 5G-Projekte, eine Wasserstoffstrategie und ein Digitalisierungsschub für Europa. Setzen wir diese Milliarden dafür ein, dass daraus Zukunft entsteht für die Europäer und die nächste Generation.

Corona setzt Europa zurzeit stark zu. Der Landkreis Cham hat eine Testpflicht für Berufspendler aus Tschechien eingeführt. Folgen demnächst wieder Grenzschließungen?
Ich hoffe nicht. Die Bilder von Anfang dieses Jahres waren schockierend. Damals standen in Bayerisch Eisenstein sogar wieder Soldaten an der Grenze. Hoffentlich haben wir verstanden, dass die Maßnahmen damals nicht immer die richtigen waren. Alle haben mittlerweile dazugelernt, auch im Umgang mit Corona. Deshalb sind ortsgebundene Maßnahmen wie die Testpflicht jetzt auch der richtige Ansatz. Wer ein Hochrisikogebiet verlässt, wie es die Tschechische Republik seit ein paar Tagen nun ist, muss sich so verhalten, dass er möglichst kein Risiko darstellt. Aber auch das ist eine wichtige Erfahrung aus dem Frühjahr: Wir müssen sicherstellen, dass systemrelevante Arbeitskräfte wie Krankenschwestern und Ärzte auch in der Corona-Situation die Grenze überschreiten dürfen. Zu einer Grenzschließung wie im März darf es nicht mehr kommen.

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