"Lügner, Verräter, Spalter": Ypsilanti erlebt Desaster
WIESBADEN - Sensationelle Wende in der hessischen Polit-Soap rund um Andrea Ypsilanti: 24 Stunden vor ihrer geplanten Wahl im Landtag zerstören vier SPD-Rebellen alle Machtträume von Andrea Ypsilanti – Roland Koch triumphiert
Sensationelle Wende in der hessischen Polit-Soap rund um Andrea Ypsilanti: Nur 24 Stunden vor der geplanten Wahl der SPD-Chefin zur Ministerpräsidentin im Landtag ist der Traum vom rot-rot-grünen Machtwechsel jäh geplatzt. Ypsilantis Vize Jürgen Walter und drei weitere SPD-Abgeordnete kündigten in einer Pressekonferenz im Wiesbadener Dorint-Hotel an, Ypsilanti ihre Stimme zu verweigern. Da SPD, Grüne und Linke aber zusammen nur zwei Stimmen Mehrheit haben, ist die Wahl durch die vier Abweichler sowieso vom Tisch - und die geschäftsführende CDU-Regierung von Ministerpräsident Roland Koch kann weiter im Amt bleiben.
Sie sei „maßlos enttäuscht“, sagte Ypsilanti über den Entschluss der vier Abweichler, ihr die Stimme zu verweigern: Eltern, Lehrer und Arbeitnehmer, die auf einen Politikwechsel gehofft hätten, müssten enttäuscht sein „von diesen vier Personen“. Immerhin stellte sich der SPD-Landesvorstand hinter die Chefin. Der südhessische SPD-Bezirksvorsitzende Gernot Grumbach sagte, er betrachte das Verhalten der vier Abgeordneten als „Angriff auf die SPD“. Die Rebellen sollten ihre Mandate niederlegen.
Das Desaster hatte sich früh angekündigt: Jürgen Walter Walter erschien nicht zur Vorstandssitzung und blieb auch der unmittelbar anschließenden Sitzung der Landtagsfraktion fern - genauso wie die anderen drei Abweichler. Ypsilanti wurde kurz nach 10 Uhr von der Abgeordneten Carmen Everts telefonisch informiert. Sie versuchte mit einem persönlichen Gespräch die Abweichler doch noch auf Kurs zu bringen. Doch die Rebellen stellten sich quer.
Die SPD-Abweichler begründeten ihren Schritt damit, dass eine rot-grüne Minderheitsregierung durch die Linkspartei geduldet hätte werden müssen. Bei den SPD-Rebellen handelt sich neben Walter um die Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger sowie die ebenfalls zum rechten Flügel der SPD gezählten Parlamentarierinnen Silke Tesch und Carmen Everts. Alle vier Abgeordneten wollen ihr Mandat behalten und weder aus der Partei noch aus der Fraktion austreten. Im Gegenteil: „Wir bieten unserer Fraktion weiter die Mitarbeit an", so Everts.
Everts und Tesch sprachen von einem extremen Gewissenskonflikt, der sich bis zum Parteitag am vergangenen Wochenende zugespitzt habe. Eine rot-grüne Regierung unter Tolerierung der Linken würde dem Land und seiner Partei schaden, sagte Walter. Er sehe zehntausende Arbeitsplätze in Hessen gefährdet. Tesch klagte, sie habe sich „unter unvorstellbarem Druck“ gefühlt. Ihre Bedenken gegen den Linkskurs seien von der Fraktionsführung „regelmäßig ignoriert und ausgeblendet“ worden. Letztlich habe sie sich für Glaubwürdigkeit entschieden. Evers: "Es ist jetzt der späteste, aber der richtige Zeitpunkt." Metzger hatte als einzige der 57 Parlamentarier von SPD, Grünen und Linkspartei von Anfang an offen erklärt, sie verweigere Ypsilanti ihre Stimme – an ihr war im Frühjahr Ypsilantis erster Anlauf zur Macht gescheitert.
CDU-Regent Koch kostete seinen Triumph ganz staatsmännisch aus: Er werde jetzt die Optionen einer Regierungsbildung mit allen Parteien außer der Linken ausloten. Dafür gebe es aber nur ein „sehr enges Zeitfenster“, sagte Koch. Wenn es nicht schnell zu Lösungen komme, seien Neuwahlen unausweichlich.
Ypsilantis Vertraute reagierten erschüttert: SPD-General Norbert Schmitt bezeichnete das Verhalten der Genossen als „Verstoß gegen Solidarität, menschliche Fairness und Demokratie“. Die Linkspartei sprach von einem „schwarzen Tag für Hessen“, Fraktionsmitarbeiter hielten Schilder mit der Aufschrift hoch: „Mein Gott Walter – Lügner, Verräter, Spalter.“ Der Linke Hermann Schaus schäumte: „Solche hinterlistigen Schweine.“
„Desaströses Versagen" warfen die Grünen der Hessen-SPD vor. „Es tut sich für uns ein Abgrund an Politikunfähigkeit auf“, zeterte Parteichefin Claudia Roth. Sie sprach von einem „Ausmaß an politischer Verkommenheit, das zu Verdrossenheit führen muss“. Damit verabschiede sich die hessische SPD „für lange Zeit von aktiver Politikgestaltung."
Die SPD-Spitze in Berlin wurde von der Entwicklung in Wiesbaden angeblich überrumpelt. Parteichef Franz Müntefering sprach von einem „schweren Schlag“ für die Hessen-SPD. Der Dolchstoß der vier Genossen habe im Präsidium eine „Mischung aus Betroffenheit und Empörung“ ausgelöst. Für Bayerns Juso-Chef Thomas Asböck liegt dagegen die Vermutung nahe, dass das Scheitern Ypsilantis „ein abgesprochenes Komplott zwischen den Abweichlern in Hessen und dem Willy-Brandt-Haus war.“
Markus Jox
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