Links der Isar unterwegs
MÜNCHEN - Die Linkspartei will in den bayerischen Landtag. Dafür gehen Gregor Gysi und Oskar Lafontaine auf Stimmenfang durch München. Die Arbeiterführer wollen die Stadt aufmischen – und treffen auf Bürger, die sie lieben, ignorieren – oder beschimpfen.
Der selbsternannte Arbeiterführer steht vor dem Hotel „Bayerischer Hof“. Während drüben die Hotelgäste ihre Luxus-Karossen abgeben, will er hier, wo die Sicherheitskonferenz stattfindet, einen antikapitalistischen Stadtrundgang starten.
„Ich bin immer gern in München“, sagt Oskar Lafontaine. Die vergangenen Tage waren gut für ihn. Das Chaos bei der SPD? Nützt ihm. Und dann ist da noch die CSU, die gegen die Linken einen „Kreuzzug“ führen will und deren Innenminister die Linken per Verfassungsschutz beobachten lässt. „Der Kreuzzug endet immer mit vielen Kreuzchen bei der Linken“, sagt er und grinst. Gut möglich, dass die Linke in Bayerns Landtag kommt. Lafontaines Wangen glühen.
„Dämonen“ oder „Kader-Geschwader“
Der Rundgang geht los, mittlerweile ist auch Gregor Gysi vor Ort. Gut beschützt von ihren grimmigen Bodyguards schreiten die beiden über die Kardinal-Faulhaber-Straße. Die beiden wollen die Münchner aufmischen und ihnen zeigen: Die Linken sind mitnichten „Dämonen“ oder „Kader-Geschwader“, wie Unionspolitiker schimpfen, sondern nette Bürger-Anwälte. Lafontaine und Gysi grüßen jeden. Die Porsches, Jaguars und deren Besitzer müssen warten, bis die Straße wieder frei ist.
Den Stadtführer macht heute Fritz Schmalzbauer, Linke-Landtagskandidat für Oberbayern. Schmalzbauer erzählt nicht von Münchens Reichtum, dem lässigen, teuren Lebensstil. Er berichtet von Rechtsradikalen, die den Anführer der bayerischen Novemberrevolution Kurt Eisner 1919 getötet haben. „Er war quasi der erste Ministerpräsident Bayerns. Doch statt eines Denkmals für ihn hat die Staatsregierung ein Denkmal für Montgelas gebaut“, schimpft Schmalzbauer. Empört legen Gysi und Lafontaine einen Kranz mit dunkelroter Schleife nieder – genau vor dem Schaufenster einer schicken Boutique. Die Alarmanlage des Geschäfts geht los – das kümmert sie wenig.
Weiter geht’s. „Da vorne residierte mal die Vereinsbank“, sagt Stadtführer Schmalzbauer. „Inzwischen gehören die den Italienern, nicht mal die Hälfte der Arbeitnehmer sind noch da.“ Mitleidig nickend schauen die München-Besucher auf das Gebäude. Heute steht „Unicredit“ an der Tür – und davor stehen zwei Bankmitarbeiter, die aus irgendeinem Grund Tracht tragen. „Grüß Gott!“ ruft Lafontaine und schießt auf die adrette Bank-Mitarbeiterin zu. „Sprechen Sie italienisch?“ will er wissen. Die Dame kichert hilflos. Lafontaine sagt, wie schön er ihr Dirndl findet. „Schönen Tag noch!“ zwitschert er, die junge Frau bleibt verdattert zurück. Ihr Kollege, der ahnt, dass seine Begegnung mit den linken Arbeiterführern seiner Banker-Karriere schaden könnte, flucht: „Das war jetzt nicht das ganz große Vergnügen! Um Gottes Willen!“
Nicht zu viel Radau
Die Flaneure begrüßen einen Mann und seinen Hund, doch beide ignorieren die Promis aus Berlin. Dann kreuzt ein winkender Taxifahrer den Weg. „Alles Gute!“ schallt es aus dem Auto. Ein teures Straßencafé kommt in Sicht. „Grüß Gott! Lassen Sie es sich schmecken“, sagt Lafontaine gönnerhaft. Die Cafébesucher winken fröhlich zurück.
Ein Mann, der sicher die Linkspartei wählt, hat seinen Auftritt: „Das ist Deutschland!“, schimpft er. „Es gibt viele hier in München, die können sich so was nicht leisten.“ Er deutet auf das Café, Lafontaine und Gysi sagen „Jaja.“ Als der Mann immer lauter wird, schieben ihn die Bodyguards weg. Zu viel Radau muss auch nicht sein.
Ausgerechnet den Hofgarten und den Biergarten vom Lokal „Tambosi“ haben sich die Linken für ein Fotoshooting mit Maßkrug ausgesucht. Hier entspannen normalerweise Manager aus der Siemens-Zentrale, Anwälte aus den renommierten Kanzleien und Beamte aus dem benachbarten Ministerien. Doch jetzt entern die Linken das Areal. „Wie sehen Sie das denn mit den Wahlen?“, flirtet Lafontaine eine Frau mittleren Alters an. „Ich wünsche mir, dass Sie Erfolg haben“, schmachtet die Dame zurück. Ihre Stimme hat sie der Linkspartei schon per Briefwahl gegeben, verrät sie.
Sie geben sich bajuwarisch
Ihre beiden Lieblinge haben derweil andere Probleme: Im „Tambosi“ gibt’s nur eine Halbe, keine Maß, und eine Halbe wirkt zu wenig proletarisch. Eine Maß muss her, auch wenn sie nicht auf der Karte steht. Als die Krüge endlich vor ihnen stehen, spielt Gysi den Überraschten. „Seid ihr wahnsinnig?“ ruft er über so viel Bier aus. Lafontaine gibt den Routinierten: „Bei Stoiber war immer Tee drin“, sagte er verächtlich und nimmt einen großen Schluck. Dann muss er weg, zur TV-Sendung „Hart aber Fair“.
Gysi dreht jetzt so richtig auf. Weißwurst? Mag er! Aber ohne Senf. Als es kurz regnet, spannt ihm sein Mitarbeiter einen Schirm von der globalen Nobel-Hotel-Kette „Kempinski“ auf. „Das ist aber nicht meiner“, sagt Gysi geistesgegenwärtig. Eine Schülergruppe nähert sich, zückt die Handys und Digitalkameras. Den Typen da vorn kennen sie irgendwoher. Wie er heißt? „Lafontaine“, sagt eins der Mädchen stolz. Wie sie ihn findet? „Keine Ahnung.“
Gysi will zum Viktualienmarkt. Dort erlebt er den emotionalen Höhepunkt des Rundgangs. Als er den Biergarten passiert, wird die bierselige Meute auf den Preußen aufmerksam. „Der Linke!“ schallt es aus den Bierbänken. „Habe die Ehre! Hahahaha!“ Einer ruft: „Ah – pfui!“ Ein anderer: „So ein verlogenes Pack!“
Und die SPD?
Nachdem Gysi den Jakobs-Platz überquert hat, schlägt Stadtführer Schmalzbauer einen mitleidigen Ton an. „Schau mal da“, sagt er zu Gysi und deutet auf das Haus am Oberanger, wo die Bayern-SPD ihre Zentrale hat. „Das kleine Haus da vorn ist die SPD.“ Fast klingt es so, als ob er sagt: „Das war die SPD.“
Zum „Weissen Bräuhaus“ geht es zum Schluss der Stadttour. Ein „Schneider“-Weißbier soll getrunken werden. Schneider, berichtet Schmalzbauer, sei ein „freier Brauer“, der sich „nicht vereinnahmen“ lasse und deshalb nicht von bösen ausländischen Heuschrecken-Brauereien aufgekauft sei. Beruhigt bestellt Gysi Weißbier und Wurstsalat. Die SPD? „Die geht Schritt für Schritt zurück zu Schröder“, sagt er zur AZ. Und findet: „Die brauchen noch eine Wahlniederlage 2009, um auf dem richtigen Weg zu gehen.“
Vor dem Bräuhaus steht ein Vater mit seinem Sohn und beobachtet den kleinen Mann, der da so laut durch den Biergarten berlinert. „Papa, wer ist das?“, will der Bub wissen. „Das ist Gregor Gysi.“ – „Kenn’ ich nicht.“ – „Den musst du auch nicht kennen.“
Volker ter Haseborg