Linken-Chef Bernd Riexinger im Interview: "Die SPD weiß nicht, was sie will"

AZ: Herr Riexinger, im Netz kursiert gerade ein Wahlplakat von Ihnen.
BERND RIEXINGER: Ja, ich habe das auch gesehen.
Da steht: Bernd Riexinger, Doppelpunkt – und dann nichts mehr. Im Netz werden Sie deshalb als ehrlichster Politiker Deutschlands gefeiert. Endlich mal einer, der nichts verspricht.
Ach, das ist ein Veranstaltungsplakat. Der aufgeklebte Veranstaltungshinweis hat sich da wahrscheinlich losgerissen. Sonst steht bei mir drauf: "Für gute Arbeit: Leiharbeit, Befristungen, Werkverträge stoppen".
Und wenn Sie jetzt die Chance hätten, auf dieses eine leere Wahlplakat was Neues draufzuschreiben, was wäre das?
Das Gleiche. Ich finde es enorm wichtig, dass man eine Arbeit hat, von der man leben kann, mit der man seine Zukunft planen kann und mit der man auch eine gute Rente bekommen kann. Das ist eine unserer Kernbotschaften.
Ein bisschen inhaltsleer, dieses Plakat von Bernd Riexinger, oder? Foto: Sarius1997/Reddit
Wie viel Prozent lassen sich mit dieser Kernbotschaft wohl holen?
Bundesweit streben wir ein zweistelliges Ergebnis an. Und in Bayern kämpfen wir darum, dass wir die Fünf-Prozent-Marke knacken.
Das könnte aber eng werden. Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren waren es nur 3,8 Prozent.
Naja, 2009 waren wir mit 6,5 Prozent schon einmal drüber. Es ist also zu schaffen.
Was macht Sie so optimistisch, dass Sie heuer noch einmal was draufpacken können?
Wir haben hier in Bayern eine wirklich sehr gute Entwicklung hingelegt und von allen Landesverbänden prozentual gesehen den stärksten Mitgliederzuwachs. Vor allem sehr viele junge Leute kommen gerade zu uns.
"Die Bayern können ja auch mal was anderes wählen als CSU"
Woran liegt’s? Nur daran, dass die anderen schwächeln?
Die Bayern können ja auch mal was anderes als die CSU wählen – und dann bleibt halt fast nur die Linke.
Sie sagen, mindestens zehn Prozent im Bund. Das ist eine Marke, da kann man schon auch mal an eine Regierungsbeteiligung denken.
Das hängt ja nicht nur von uns ab. Wir halten nach wie vor daran fest, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel abgewählt werden sollte. Wir brauchen einen grundlegenden Politikwechsel. Wir müssen prekäre Arbeit stoppen, Renten erhöhen, mehr Geld in Bildung und Gesundheit stecken, soziale Arbeit besser bezahlen, eine gerechte Steuerpolitik machen – das sind unsere Maßstäbe, dafür sind wir zu haben. Wofür wir nicht zu haben sind, ist ein "weiter so" mit kleinen Korrekturen. Da braucht man die Linke nicht, dafür stehen genügend andere Parteien bereit.
Das klingt aber schon so, als würde man da Gemeinsamkeiten mit den Sozialdemokraten finden können.
Wir haben uns ja auch nie distanziert. Die SPD hingegen weiß nicht, was sie will. Martin Schulz spricht von Gerechtigkeit und würde lieber mit der FDP koalieren. Naja, wenn man ernsthaft glaubt, dass man mit der FDP soziale Gerechtigkeit machen kann, dann glaubst du auch, dass du Haifische zu Vegetariern umerziehen kannst.
Wenn Sie sagen, mit der FDP wird Deutschland nur ungerechter, müssten Sie da nicht ein glasklares Bekenntnis zum Ziel Rot-Rot-Grün abgeben.
Wie gesagt: An uns scheitert es nicht. Ich glaube, mit seiner FDP-Aussage hat Martin Schulz an Glaubwürdigkeit verloren. Wenn er seine Wähler mobilisieren und eine wirkliche Alternative zu Merkel sein will, müsste er klar sagen, wir wollen ein Projekt der sozialen Gerechtigkeit – und das lässt sich halt nur mit den Linken und den Grünen machen.
Und warum, glauben Sie, hat er das nicht getan?
Ihn hat der Mut verlassen. Er hatte ja durchaus soziale Reformen angekündigt. Wenn man das tut, muss man aber auch sagen, wie man das finanziert. Und da hat die SPD anders als wir kein klares Konzept. Wir sagen: Wir müssen Steuergerechtigkeit herstellen – und dazu gehört eben, dass hohe Vermögen stärker besteuert werden und die Reichen einen größeren Beitrag zum Allgemeinwohl leisten.
"Der soziale Frieden hat Deutschland vorangebracht"
Das hört man in einer wohlhabenden Stadt wie München wahrscheinlich nicht so gerne.
Die gesellschaftliche Spaltung nicht noch tiefer werden zu lassen, liegt auch im Interesse der Wohlhabenden, denn der soziale Frieden hat Deutschland vorangebracht. Sanierte Brücken, gut ausgestattete Schulen, mehr Polizisten auf der Straße müssen finanziert werden. Das geht nur, wenn die Bestverdienenden und Vermögenden einen größeren Beitrag leisten.
Sie wollen also bloß an die Millionäre ran?
An die Millionäre und die Milliardäre. Bei der Einkommensteuer wollen wir alle entlasten, die im Monat unter 7.100 Euro brutto verdienen. Das ist auch nötig, weil die Verkäuferin, die Erzieherin oder der Facharbeiter in München ja nicht einmal mehr die hohen Mieten bezahlen können.
Darauf wollten wir gerade kommen: Was kann man denn machen gegen die hohen Mieten? Die Mietpreisbremse hat ja nicht unbedingt gegriffen.
Das war ja auch keine richtige Mietpreisbremse. Man sollte da schon eine richtige machen, eine, die die Mietpreisentwicklung stoppt oder sogar zurückdreht. Die Mieten sind ja nicht nur in München jetzt schon zu hoch. Man muss aber auch mehr Sozialwohnungen bauen. Da sagen wir: 250.000 Sozialwohnungen sollten es im Jahr bundesweit schon sein.
Sie fordern auch einen kostenlosen Personennahverkehr. Damit kann man in München sicher punkten.
Wir müssen den Autoverkehr stärker aus der Stadt kriegen. Die Feinstaubbelastung ist enorm.
Sie kommen ja aus Stuttgart, Deutschlands Feinstaub-Hauptstadt und zugleich ein Epizentrum im Diesel-Skandal. Sie haben deshalb immer besonders geschimpft auf den vermeintlichen Kuschelkurs zwischen Automobilindustrie und Bundesregierung.
Das ist aber auch wirklich unerträglich, in welchem Ausmaß hier Lobbyismus betrieben wird. Hier geht es um kurzfristigen Profit, nicht um langfristige Perspektiven.
Was müsste man tun?
Man müsste die Autokonzerne zwingen, eine Nachrüstung direkt am Motor und der Abgasanlage zu machen, nicht nur ein Software-Update. Man kann ja nicht einfach die Stickoxid-Grenze von 80 Milligramm pro Kilometer um das Sechsfache überschreiten und dann sagen: Jetzt machen wir ein Update, das 30 Prozent wieder einfängt. Damit wären wir immer noch das Vierfache über dem, was gesetzlich vorgeschrieben ist.
Halten Sie es für gerecht, wenn man Diesel-Fahrzeuge aus den Innenstädten aussperrt?
Wenn die Autokonzerne nicht betrügen würden, so dass die Grenzwerte eingehalten werden, braucht es keine Fahrverbote. Dass Dobrindt, Seehofer und Co. dies nicht durchgesetzt haben, ist der eigentliche Skandal. Sie wollten diese Kosten den Automobilherstellern nicht aufdrücken, dabei hätten die wahrlich Geld genug. Jeder der betroffenen Konzerne hat ja irre verdient, da ist keiner unter acht Milliarden Euro Gewinn aus dem vergangenen Jahr rausgegangen. Und wie gesagt: Natürlich müssen wir auch den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen.
"Wir brauchen einen ticketfreien Nahverkehr"
Was schwebt Ihnen da vor?
In erster Linie heißt das: Fahrpreise runter. Schrittweise müssen wir so zu einem ticketfreien öffentlichen Nahverkehr kommen. In Wien gibt es ein Tagesticket für einen Euro. Im Jahr kostet das also 365 Euro – dafür kriegt man in München nicht einmal eine Zone.
Das mit dem einen Euro am Tag haben die Grünen in München auch schon mal versucht.
Naja, die Grünen. Die sollten sich erstmal um ihren Kretschmann kümmern, der dem Betrüger-Kartell weiter die Stange hält.
Sind die Linken jetzt also die besseren Grünen?
Wenn ich mir anschaue, dass die Deutsche Umwelthilfe die grün-geführte Landesregierung in Baden-Württemberg auf Einhaltung der Luftreinheit in Stuttgart verklagen muss und diese Landesregierung nun sogar dagegen in Berufung gehen will, bleibt vom Attribut ökologisch bei den Grünen nicht mehr viel übrig.
Wie stellen Sie sich denn die Mobilität der Zukunft vor?
Wenn man heute fahrerlose Autos bauen kann, kann man auch einen intelligenten Personennahverkehr aufbauen. Ich denke da an Straßenbahnen, die auf der Schiene und auf der Straße gleichermaßen fahren können. So eine Tram muss auch nicht immer im Verbund fahren. Man kann sich da auch Einzelkabinen vorstellen, die einen dann ganz individuell ans Ziel bringen.
Das heißt, ich steige am Nordbad in eine Einzelkabine – und die fährt mich dann direkt nach Hause?
Es wird schon noch gewisse Linien geben, aber das wird auch alles individualisiert funktionieren. Technologisch wäre das alles möglich und für die Industrie zudem hoch attraktiv – das würde eine Perspektive schaffen für die Zulieferer und die ganze Automobilindustrie.
Und man bräuchte wahnsinnig viel Geld.
Man müsste investieren, klar. Das Geld wäre aber auch da. Unser Steuerkonzept würde im Jahr 180 Milliarden Euro mehr in die öffentlichen Kassen spülen. Sowohl Erbschaftsteuer als auch Vermögensteuer sind reine Ländersteuern. Bayern alleine hätte also rund acht Milliarden mehr. Damit kann man schon einiges anfangen.