Linke-Chefin Lötzsch tritt überraschend zurück
Berlin - Ihre familiäre Situation lasse eine häufige Abwesenheit von ihrem Wohnort Berlin nicht mehr zu, erklärte die 50-Jährige am späten Dienstagabend.
Bundestagsabgeordnete wolle sie aber bleiben. Lötzsch führt die Linke seit Mai 2010 zusammen mit Klaus Ernst. Sie hatte im vergangenen Herbst angekündigt, beim Bundesparteitag Anfang Juni in Göttingen wieder für den Parteivorsitz zu kandidieren. Welche Frau nun ihren Posten übernehmen wird, ist völlig offen. Laut Satzung muss die Partei von einem Mann und einer Frau geführt werden.
Ernst bedauerte den Rücktritt seiner Co-Vorsitzenden. "Wir haben in einer schwierigen Zeit vertrauensvoll und mit gegenseitigem Respekt zusammen gearbeitet. Dafür danke ich ihr", erklärte er am Mittwochmorgen. "Ich wünsche ihr und ihrer Familie Kraft und Gesundheit für die kommende Zeit." Es wird erwartet, dass Ernst die Linke bis zum Parteitag alleine führen wird.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch, der als bisher einziger Mann eine Kandidatur für den Parteivorsitz angekündigt hat, wollte Lötzschs Schritt nicht bewerten: "Die Entscheidung von Gesine Lötzsch ist zu respektieren, nicht zu kommentieren."
Lötzsch erklärte, die Rücktrittsentscheidung sei ihr nicht leicht gefallen. Sie habe sich den Schritt reiflich überlegt. Die Linke-Politikerin ist seit Ende der 80er Jahre mit dem heute 80-jährigen Sprachwissenschaftler Ronald Lötzsch verheiratet. Die geborene Ost-Berlinerin war von 1984 bis 1990 Mitglied der DDR-Staatspartei SED, aus der dann die Linke-Vorläuferin PDS hervorging. Nach der Wiedervereinigung gehörte Lötzsch von 1991 bis 2002 dem Berliner Abgeordnetenhaus an. Im Oktober 2002 zog sie in den Bundestag ein.
Das Führungsduo Lötzsch/Ernst war in der Partei umstritten. Die beiden wurden von vielen für Schlappen bei den Landtagswahlen, sinkende Umfragewerte und Mitgliederschwund verantwortlich gemacht. Zahlreiche Affären kennzeichneten die zweijährige Amtszeit. So brach Lötzsch beispielsweise zum Auftakt des Superwahljahres 2011 eine Kommunismus-Debatte vom Zaun, die der Linken viel Kritik einbrachte. Es folgten Debatten über die Bewertung des DDR-Mauerbaus, die Haltung zu Israel und ein Geburtstagsschreiben an den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro.
Ungeachtet der innerparteilichen Kritik an ihrer Amtsführung kündigte die als äußerst ehrgeizig geltende Lötzsch bereits im vergangenen Oktober an, bei der Neuwahl der Parteiführung im Juni erneut für den Vorsitz zu kandidieren. Sie wolle mit ihrer Entscheidung "Klarheit für die Mitglieder schaffen, die dieser Debatte überdrüssig sind", begründete sie seinerzeit ihre überraschende Entscheidung. Später gab dann Bartsch seine Kandidatur für den Parteivorsitz bekannt. Der frühere Parteichef Oskar Lafontaine hat sich noch nicht geäußert, ob er bereit ist in die Parteispitze zurückzukehren.