Lindner: "Man wollte die FDP zum Steigbügelhalter machen"

FDP-Chef Lindner hält CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer für die interessanteste Personalie in der Politik – und er lobt den neuen Bundesinnenminister. Das AZ-Interview.
von  Martin Ferber
Bedauert bis heute nicht, die Jamaika-Gespräche beendet zu haben: FDP-Chef Lindner.
Bedauert bis heute nicht, die Jamaika-Gespräche beendet zu haben: FDP-Chef Lindner. © Nicolas Armer/dpa

Berlin - Die AZ hat mit Christian Lindner gesprochen. Der 39-jährige Wuppertaler ist Bundesvorsitzender der FDP und Fraktionschef seiner Partei im Bundestag.

AZ: Herr Lindner, am Mittwoch steht die Wahl der Bundeskanzlerin an, danach wird das neue Kabinett vereidigt. Trifft Sie der Vorwurf, maßgeblich dafür verantwortlich zu sein, dass es zu einer Neuauflage der GroKo kommt?
CHRISTIAN LINDNER (39): Deutschland muss sich erneuern. Das heißt: Den Menschen mehr Freiräume geben, Bildung und digitale Infrastruktur auf die Höhe der Zeit bringen, finanzielle Entlastung und Ordnung bei der Einwanderung schaffen. Teil eines solchen Erneuerungsprojekts würde die FDP jederzeit sein. Nach der Bundestagswahl gab es nur die Optionen Große Koalition oder Jamaika. Die Jamaika-Gespräche sind dann daran gescheitert, dass man die FDP zum Steigbügelhalter einer eigentlich schwarz-grünen Koalition machen wollte. Sie hätte keine Erneuerung gebracht. Dafür konnten wir nicht zur Verfügung stehen.

Der neuen Regierung gehören zahlreiche neue Gesichter an. Welche Personalie hat Sie überrascht – und wem trauen Sie am meisten zu?
Überrascht hat mich die Entscheidung für die nicht der Regierung angehörende neue Generalsekretärin der CDU. Das ist eine spannende Personalie, die einen Blick nach vorne in die personelle Neuaufstellung der CDU in der Ära nach Merkel freigibt. Offen ist aber, was das inhaltlich für die CDU bedeutet. Einerseits steht Annegret Kramp-Karrenbauer für eine dezidiert sozialdemokratisierte Wirtschaftspolitik, das freut uns nicht, andererseits ist sie eine Vertreterin konservativer Gesellschaftsvorstellungen, das löst bei uns ebenfalls keine Begeisterungsstürme aus. Somit lässt das offen, wohin sich die CDU bewegt.

Übernimmt sich der Nicht-Jurist Horst Seehofer mit seinem Super-Ministerium für Inneres, Bauen und Heimat?
Nein, als erfahrener Politiker mit langjähriger Regierungserfahrung kann er ein solch großes Haus sicher führen. Bedauerlich ist nur, dass er seinen politischen Einfluss dafür verwendet hat, ein Heimatministerium zu bilden. In Frankreich wurde ein Digitalisierungsministerium gegründet. Das bräuchten wir auch. Heimat schaffen sich die Menschen selber, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Ein modernes Einwanderungsrecht, Glasfaser auf dem Land und die Sicherung der landärztlichen Versorgung – das wäre ausreichend gewesen. Einen neuen Titel für ein neues Ministerium brauchen wir dafür nicht.

Christian Lindner: "Mein Auto ist Ausdruck meiner Leidenschaft"

Digitalisierung soll eine große Rolle spielen, es gibt jetzt eine Staatsministerin im Kanzleramt – nur Fassade oder was kann Dorothee Bär ohne Apparat und Geld bewegen?
Sie sagen es: Ohne Mittel und ohne fachliche Unterstützung durch ein Team kann man da sehr wenig bewirken, außer Internet-Messen eröffnen und Interviews geben. Daran besteht aber kein Mangel, ebenso wenig an Worten und Ankündigungen. Es muss gehandelt werden. Dafür müssten alle Kompetenzen an einer Stelle gebündelt werden.

Die Koalition verspricht den flächendeckenden Ausbau des Internets bis 2025 – ist das nicht ein Armutszeugnis?
So ist es. Das muss viel schneller gehen, wie wir auch viel schneller die Schulen und Behörden digitalisieren müssen. Nicht zuletzt muss der Rechtsrahmen angepasst werden.

Sie sind ein bekennender Porsche-Fahrer. Ist das in diesen Zeiten noch opportun?
Mein Auto ist Ausdruck meiner Leidenschaft. Die 500 Kilometer im Jahr, die ich mit meinem 36 Jahre alten Porsche am Sonntag auf dem Land fahre, sind keine große Belastung für das Weltklima und die Luft. Ich bin gegen jede Form der Einschränkung individueller Mobilität. Die freie Fahrt für freie Bürger ist nicht aus der Zeit gefallen. Fahrverbote müssen in jedem Fall vermieden werden durch intelligente Lösungen.

Ist Deutschland dabei, in der Debatte um Fahrverbote ein Standbein seiner Wirtschaftsstärke selber abzuschlagen?
Niemand versteht die Debatte. Wir müssen offen bleiben für einen Mix aus Verbrennungsmotoren, Elektromobilität und Wasserstoff. Wenn wir unsere Stärken in der Automobilindustrie selber zerstören, gehen Arbeitsplätze verloren, aber fürs Weltklima haben wir nichts wirklich erreicht.

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