Lieferdienste: Mit allen Tricks – EU will Rechte von Mitarbeitern stärken

Die Dienste erleichtern nicht erst seit Corona das Leben von Millionen Menschen: Das Uber-Taxi kann per App bestellt werden, Kochmüde klicken sich ganz einfach durch Speisekarten etwa auf Deliveroo, um die Pizza oder das Hähnchen-Curry in kürzester Zeit an die Tür geliefert zu bekommen. Dementsprechend rasen immer mehr Boten auf Fahrrädern mit farblich auffallenden Warmhalteboxen auf dem Rücken durch Europas Städte.
Schneller und bequemer Service – oft auf Kosten der Arbeiter
Uber, Deliveroo und Co. bedienen die steigende Nachfrage nach schnellen und bequemen Dienstleistungen. Einerseits. Andererseits kritisieren Beobachter, dass Erfolg und Profit von digitalen Plattformen mit ihrem – im Vergleich zum traditionellen Angebot – oft günstigeren Service auch auf Kosten der Arbeiter erreicht werde. Die gelten häufig als Selbstständige, haben deshalb keinen Zugang zu Renten-, Kran-
ken- und Arbeitslosenversicherung und von einem Mindestlohn können einige ebenfalls nur träumen.
Der europäische Gesetzgeber vermutet, dass rund 5,5 Millionen Menschen fälschlicherweise als Selbstständige eingestuft sind. Eigentlich wollte die EU diese Situation deshalb zügig ändern. Im Dezember hatte sich der entsprechende Ausschuss des Europäischen Parlaments auf einen Kompromiss geeinigt, der den ursprünglichen Kommissionsvorschlag verschärft hat.
Die Volksvertreter vereinbarten, dass grundsätzlich alle Plattform-Arbeiter als beschäftigt gelten sollen. Die betroffenen Firmen können dem dann widersprechen oder die Einstufung ändern, also die Beschäftigten als selbstständig klassifizieren, indem sie anhand festgelegter Kriterien den entsprechenden Beweis erbringen. Schon seit Wochen, so hatten die mit dem Thema betrauten Abgeordneten gehofft, wollte man mit den Mitgliedstaaten und der Kommission über eine endgültige Regelung verhandeln.
"Für politische Spielchen ist keine Zeit"
Unerwartet haben jedoch letzten Monat Politiker der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der CDU/CSU gehören, Widerstand angekündigt. Die Christdemokraten sammelten 85 Unterschriften – genug, um zu erzwingen, dass über das Verhandlungsmandat am morgigen Donnerstag im großen Rahmen im EU-Parlament noch einmal abgestimmt werden muss. Kippt nun der Kompromiss?
Es geht um viel Geld. Von 2016 bis 2020 verfünffachten sich die Einnahmen jener Unternehmen und Start-ups laut Angaben der EU-Kommission nahezu von drei Milliarden Euro auf 14 Milliarden Euro. Allein 2022 waren mehr als 28 Millionen Menschen in der Gemeinschaft für eine oder mehrere dieser digitalen Plattformen tätig. Die Brüsseler Behörde schätzt, dass 2025 voraussichtlich 43 Millionen Bürger ihr Geld in der Industrie verdienen.
Auch deshalb äußerte die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff Unverständnis über die Last-Minute-Intervention. "Die Menschen haben keine Zeit für weitere Verzögerungen, dieses Thema ist zu wichtig für politische Spielchen."
Doch auch die Liberalen wollen morgen gegen "den gefährlichen Kompromissvorschlag" stimmen, wie die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn ankündigte. Das Gesetz würde "de facto zur weitgehenden Abschaffung der Solo-Selbstständigkeit führen".
CDU-Politiker: Dieser "Lobbyismus hat jedes Maß verloren"
Dem widersprach der CDU-Politiker Dennis Radtke, der in dem Ausschuss an der Ausarbeitung der Richtlinie beteiligt war. Wer behaupte, dass die Vorschrift aus jedem hochqualifiziertem Solo-Selbstständigen oder Handelsvertreter einen Angestellten mache, habe Unrecht. "Die sind selbstständig und sollen es auch bleiben."
Dem christdemokratischen Europaabgeordneten gehe es vielmehr um zwei Punkte: "zum einen um einen wirksamen Schutz vor Ausbeutung, zum anderen auch um Fairness im Wettbewerb". Dieser sei in Deutschland zwischen Taxis und Uber beispielsweise nicht gegeben. "Geschäftsmodelle, die nur funktionieren, weil Menschen durch Scheinselbstständigkeit um Zugang zu Mindestlohn und Sozialversicherung betrogen werden, braucht niemand", sagte Radtke.
Der Gegenwind, sowohl von den Liberalen als auch von deutschen Konservativen, dürfte diese Woche noch zunehmen. Sie wittern mit dem Votum im Hohen Haus Europas ihre letzte Chance, Änderungen durchzusetzen. "Gerade vor dem Hintergrund des außergewöhnlich hohen Lobbydrucks von Plattformen wie Uber und Bolt wäre es sehr bedauerlich, wenn das Verhandlungsmandat nun erneut in Gefahr gerät", so Bischoff.
Tatsächlich erzählen Insider, wie Branchenvertreter auf den Gängen der Parlamente in Straßburg und Brüssel Abgeordnete geradezu anfeuerten, die Vereinbarung "platzen zu lassen". Auch Radtke kritisierte die Methoden: "Der Lobbyismus, den ich den letzten Monaten erlebt habe, hat jedes Maß verloren", sagte er. Hier werde "mit allen Tricks und aller Härte versucht, eine Regulierung zu verhindern". Welche Seite sich am Ende durchsetzt, wird sich morgen zeigen.