Libyen: Über 30.000 Tote - Wo ist Gaddafi?

In Libyen sollen mindestens 30.000 Menschen bei den Kämpfen ums Leben gekommen sein. Und die Zahl wird noch steigen. Derweil geht die Suche nach Gaddafi weiter. Ist er noch im Land?
Bengasi - Mindestens 30.000 Menschen sind nach Angaben des Gesundheitsministers der neuen libyschen Führung während des sechsmonatigen Bürgerkriegs ums Leben gekommen. 50.000 seien bei den Kämpfen verletzt worden, sagte Nadschi Barakat. Im Gegensatz zu bisherigen groben Schätzungen basierten diese Zahlen zum Teil auf Berichten von Krankenhäusern, Beamten vor Ort und ehemaligen Kommandeuren der Rebellentruppen.
Eine vollständige Aufstellung der Opfer werde es allerdings erst in mehreren Wochen geben, sagte Barakat. Er rechne damit, dass die Opferzahlen dann nochmals steigen werden. Mindestens 4.000 Menschen gelten demnach noch als vermisst. Sie seien entweder tot oder würden in den Gaddafi-Bastionen Bani Walid, Sabha oder Gaddafis Geburtsstadt Sirte gefangen gehalten, sagte Barakat der Nachrichtenagentur AP am Mittwoch. Andere seien während der Kämpfe hastig begraben worden und würden nun exhumiert, um sie zu identifizieren. Suchmannschaften würden außerdem noch immer versteckte Gräber mit von Gaddafi-Truppen getöteten Gefangenen finden.
Auch die anhaltenden Kämpfe um die letzten verbliebenen Herrschaftsbereiche des bisherigen libyschen Machthabers Muammar Gaddafi werden wohl weitere Opfer verursachen. Sie gelten als mögliche Aufenthaltsorte Gaddafis. Bei dem 140 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis gelegenen Bani Walid gab es in der Nacht zum Donnerstag stundenlange Gefechte. Am Mittwoch waren Verstärkungen der Rebelleneinheiten in der Region eingetroffen. Die Stadt ist umzingelt.
„Niemals das Land meiner Vorfahren verlassen“
Der in den Untergrund gezwungene Gaddafi wies in einer Audiobotschaft kategorisch Berichte zurück, er sei ins Ausland geflohen. Er werde „niemals das Land meiner Vorfahren verlassen“, sagte er in einer am Donnerstag über den syrischen Fernsehsender Al-Rai TV verbreiteten Erklärung. Er nannte die Aufständischen in Libyen „einen Haufen Söldner, Verbrecher und Verräter“ und erklärte: „Wir sind bereit, den Kampf um Tripolis und jeden anderen Ort aufzunehmen und uns gegen sie zu erheben“.
Der Nationale Übergangsrat kontrolliert mittlerweile fast ganz Libyen, mit Ausnahme der drei Gaddafi-Bastionen, in die sich die Anhänger des Ex-Machthabers zurückgezogen haben. Bei den monatelangen Kämpfen verzeichneten seine Truppen schwere Verluste. Etwa die Hälfte der 30.000 Toten seien wohl Kämpfer Gaddafis gewesen, sagte Barakat. Offiziere der Rebellenstreitkräfte hätten ihm gesagt, dass die von Gaddafis Sohn Chamis geführte Elitebrigade 9.000 Mann verloren habe.
Schwere Verluste der Gaddafi-Truppen
Wohl am schlimmsten litt die Hafenstadt Misrata unter den Kämpfen. Regierungstruppen hatten die drittgrößte Stadt des Landes rund zwei Monate lang belagert und sich schließlich stark geschwächt zurückgezogen. Mindestens 2.000 Kämpfer der Rebellen und Zivilpersonen seien in der Stadt getötet worden, sagte Barakat. Tausende seien verwundet worden, einschließlich 900 Menschen, die laut Angaben der Stadtverwaltung Gliedmaßen verloren haben.
Aus den bis zuletzt unter Gaddafis Kontrolle stehenden Gebieten im Westen des Landes gebe es bislang nur wenige Informationen, sagte Barakat. So wisse man wenig darüber, wie viele dort dem brutalen Vorgehen der Regierungskräfte bei der Niederschlagung der Proteste im Frühling zum Opfer gefallen seien. Beim Kampf um Tripolis seien mindestens 1.700 Rebellenkämpfer und 100 Zivilpersonen ums Leben gekommen.