Leutheusser-Schnarrenberger „Kein Blick nach rechts“

Wegen der Neonazidatei ist die Justizministerin ins Kreuzfeuer geraten. Jetzt verteidigt sie sich und kritisiert die Verfassungsschutzämter – die hätten in die falschen Richtungen ermittelt.  
von  Interview: Angela Böhm

Wegen der Neonazidatei ist die Justizministerin ins Kreuzfeuer geraten. Jetzt verteidigt sie sich und kritisiert die Verfassungsschutzämter – die hätten in die falschen Richtungen ermittelt.

AZ: Frau Leutheusser-Scharrenberger, was ist denn in Sie gefahren, dass Sie sofort Nein gesagt haben zu einer zentralen Neonazidatei?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe nicht nein gesagt zu einer Datei. Polizei und Verfassungsschutz sollen darauf Zugriff haben. Es geht darum, wie umfangreich die Datei gefasst wird. Deshalb muss man genau darauf achten, welche Personen erfasst werden. Unddas Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz muss geachtet werden. Deshalb habe ich Anforderungen an die Ausgestaltung vorgeschlagen. Ich habe nicht gesagt: Ich bin dagegen.

Aber Sie lehnen doch ab, gewaltbereite Rechtsextremisten zu speichern.

Da müssen wir doch erstmal klären, wer ist gewaltbereit. Ist das der, der sagt: Ich könnte allen Ausländern jeden Tag eine um die Löffel hauen und zieh jetzt durchs Dorf und schlag alle zam. Oder ist einer, der am Stammtisch rumlästert, auch schon gewaltbereit. Wir brauchen eine exakte juristische Definition, damit das nicht zu einer reinen Gesinnungsdatei wird. Die anderen Vorschläge des Innenministers haben ja mit Rechtsextremismus überhaupt nichts zu tun. Da versucht er nur die Situation zu nutzen, und das durchzusetzen, was man schon immer mal haben wollte, aber nicht durchbekam. So geht’s wirklich nicht.

Lenken Sie jetzt nicht ab. Eine zentrale Islamistendatei gibt’s ja auch. Und die hat sich als sehr wirksam gezeigt.

Genau. Wir haben die Antiterrordatei. Da wurde das Trennungsgebot beachtet. Nach deren Muster will ich sehr wohl auch eine Verbunddatei für Rechtsextremismus. Nur, der Vorschlag des Innenministers geht ja weit darüber hinaus. Er will einen umfassenden Analyse und Recherche-Test. Den hat die Antiterrordatei auch nicht. Der wurde damals schon abgelehnt.

Die Zwickauer Terrorbande konnte über Jahre morden, weil es kein Sicherheitsnetz gegen Rechtsextremisten in der Bundesrepublik gibt.

Die Zwickauer Zelle hätte man auch mit einer neuen Zentraldatei nicht auf dem Schirm gehabt. Man hat doch die Rechtsextremen nie als die Täter gesehen, also hätte man auch nie in einer Rechtsextremismusdatei nachgeguckt.

Waren die Behörden also auf dem rechten Auge blind?

Das Grundproblem ist doch, dass es zwölf Jahre keine Verbindung der Taten zum Rechtsextremismus gab. Wenn man gar nicht nachRechtsextremismus schaut, kann man auch keine Ermittlungserkenntnisse gewinnen. Das ist doch auch ein Kommunikationsproblem der Verfassungsschutzbehörden untereinander. Am Ende, wenn man alle Fehler analysiert hat, müssen wir deren Strukturen verbessern. Es kann doch nicht sein, dass die alle Nebeneinander arbeiten und nichts voneinander wissen.

Denen geben Sie jetzt also die Schuld?

Das größte Defizit ist doch offenkundig, dass man in alle Richtungen ermittelt hat: In Hinblick auf die kurdische Terrororganisation PKK, auf das Drogenmilieu, das organisierte Verbrechen, die Mafia. Aber kein Einziger hat irgendwann auch die Rechtsextremen im Blick gehabt.

Sie reagieren wie ein „bockiges Kind“, kritisiert die SPD...

Ach das ist doch lächerlich, so wie die SPD sich jetzt bei jedem Thema versucht, als Koalitionspartner an die Union ranzuschmeißen. Dazu ist mir die Sache viel zu ernst. Meine Aufgabe ist es, dass die Neonazidatei den rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht. Deshalb war ich nie bockig.

In den Tagesthemen wurden Sie sogar vom ARD-Kommentator als „Sicherheitsrisiko“ bezeichnet.

In den 20 Jahren, in denen ich jetzt Politik mache, wurde ich schon so oft als Sicherheitsrisiko bezeichnet, dass das langsam abgenutzt ist und nichts dran ist. Wenn man heute ein Sicherheitsrisiko ist, weil man sagt, wir müssen rechtsstaatliche Grundsätze beachten, kann ich nur sagen: Wie weit kommen wir denn hier eigentlich noch?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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