Leben und Tod auf der Überholspur

Er war der im Ausland bekannteste Politiker Österreichs. Schillernd, umstritten, ein Demagoge voller Widersprüche. In der Nacht zum Samstag starb Jörg Haider - auf der Überholspur, die sein Leben war.
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In Kärnten hatte Haider seine Hausmacht
ap In Kärnten hatte Haider seine Hausmacht

KLAGENFURT - Er war der im Ausland bekannteste Politiker Österreichs. Schillernd, umstritten, ein Demagoge voller Widersprüche. In der Nacht zum Samstag starb Jörg Haider - auf der Überholspur, die sein Leben war.

Es ist der 13. September 1986. Jörg Haider lässt sich auf den Schultern seiner Anhänger durch die Innsbrucker Congress-Halle tragen. Soeben hat sich der Landesrat aus dem kleinen Kärnten zum neuen Bundesvorsitzenden der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) geputscht. Mit 36 Jahren feiert er seinen ersten großen Sieg. Doch dieser wird für ihn und die Partei zugleich auch eine Niederlage, weil in Wien Bundeskanzler Franz Vranitzky die SPÖ-FPÖ-Koalition platzen lässt – wegen Haider.

Das ist Wasser auf die Mühlen des Bärentalers. Es bietet ihm eine weitere Möglichkeit, gegen das Zweiparteiensystem zu poltern. SPÖ und die konservative ÖVP haben in Jahrzehnten das Land und seine Posten in einem beispiellosen Proporzsystem untereinander aufgeteilt. Mit der Kampfansage an diese Packelei, an die Privilegienwirtschaft der „etablierten Parteien“ gewinnt Haiders FPÖ – vor ihm ein Fünf-Prozent-Sammelbecken Ewiggestriger und Wirtschaftsliberaler - die ersten Wahlen in den achtziger Jahren. Erst später setzt Haider ganz gezielt auf ausländerfeindliche und antisemitische Parolen und die Anti-EU-Rhetorik.

Haider führt seine Partei von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Er wird Landeshauptmann von Kärnten. 1999 steigt die FPÖ mit fast 27 Prozent der Stimmen zur zweitstärksten Kraft bei den Nationalratswahlen auf. Wolfgang Schüssel, der mit seiner ÖVP nur Dritter wurde, will an die Macht – und wird Bundeskanzler von Haiders Gnaden. In Österreich demonstrieren Hunderttausende gegen die schwarz-blaue Koalition, Bundespräsident Thomas Klestil gelobt die Regierung mit steinerner Miene an, die Europäische Union verhängt Sanktionen gegen das Land.

Haider selbst ist einmal mehr am Ziel. Doch er geht diesen Weg nicht zu Ende. Nicht er, sondern seine Paladine übernehmen Vizekanzlerschaft und Ministerämter. Der FPÖ-Chef beschreibt sich später bei anderer Gelegenheit als den „Bergführer, der seine Seilschaft die letzten Meter zum Gipfel voranschreiten“ lässt.

In Wahrheit fehlte ihm mehr als einmal der Mut zur Vollendung. Auch 2008, nachdem er plötzlich wieder auf Bundesebene präsent war und seinem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) elf Prozent bei der Nationalratswahl bescherte, wäre Jörg Haider wohl wieder in sein Kärnten zurückgekehrt.

Der Sohn eines Schusters mit Nazi-Vergangenheit

Dorthin, wo seine Saat am besten aufging und er wie ein Landesfürst regierte. In Kärnten ist er „da Jöagl“, in Restösterreich „da Haida“, außerhalb des kleinen Landes ist er der gefährliche Rechtspopulist, der es bis auf die Titelseiten von „Newsweek“ und „Time Magazine“ gebracht hat.

Der Sohn eines Schusters mit Nazi-Vergangenheit, war ein politisches Naturtalent. Er hat die Show in die verknöcherte österreichische Politik gebracht, er hat Strukturen aufgebrochen. Und er hat Tabus verletzt wie kein Zweiter – insbesondere mit seinen Sagern zur Rolle Österreichs im Nationalsozialismus. Auch wenn 300.000 Menschen in einem Lichtermeer gegen ein von Haider angeführtes Anti-Ausländer-Volksbegehren protestierten: vieles, fast alles konnte er in diesem Land politisch überstehen. Doch als Haider 1991 vor dem Kärntner Landtag die „ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ lobt, wählen ihn die Abgeordneten ab. Haider wird dies später als seine schwerste Niederlage bezeichnen. Schon unmittelbar nach seiner Abwahl kündigt er sein Comeback an – begleitet vom Jubel tausender Kärntner. 1999 wählten sie ihn erneut zum Landeshauptmann.

Ein Politiker zum Anfassen

Jörg Haider war für sie ein Politiker zum Anfassen – im Wortsinn. Den Weg durch die Klagenfurter Innenstadt legte er oft zu Fuß zurück. Dort ließ sich der Landeshauptmann gerne ansprechen vom „kleinen, anständigen Mann“. Auch das war Teil von Haiders facettenreichem Populismus. Er hörte nicht auf die Meinungsforscher, er vertraute darauf, was man ihm erzählte: in der Parteizentrale, draußen auf den Dorffesten, die er in großer Zahl besuchte. Manches von dem Gehörten goss er in konkrete Politik. Ein Teil seines Erfolges resultiert auch daraus, dass es Haider geschickt verstand, Landesvermögen unters Volk, unter die Wähler zu bringen.

Zwischendurch sorgte er mit bizarren Ausflügen für Aufregung: zu Saddam Hussein etwa ausgerechnet im Jahr 2002, als die Welt über einen Krieg gegen den irakischen Diktator diskutierte. Oder mit dem eigentlich privaten Besuch im Zelt des befreundeten libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi. Beim Weggehen wird Haider von einem Reporterteam des US-Nachrichtensenders CNN erkannt. „Dr. Haider, I presume (nehme ich an)“ soll die Redakteurin zum Gast aus Österreich gesagt haben.

Jetzt, mit der vorgezogenen Nationalratswahl, sah Haider seine Chance gekommen, die heimische Bundespolitik ein letztes Mal aufzumischen. Er befand sich wieder auf der Überholspur. In diesem Wahlkampf trat er ganz anders auf als in früheren: er gab sich ruhiger, staatsmännischer, manche sagen geläutert. Die offene Ausländerfeindlichkeit überließ er den jungen FPÖ-Politikern um Heinz-Christian Strache, seinen einstigen Ziehsohn. 2005 hatte sich die Freiheitliche Partei gespalten, Haider seine neue Partei BZÖ gegründet. Beide rechtsgerichteten Parteien konnten vom Frust der Österreicher über die Große Koalition profitieren. Das dritte Lager sorgte mit zusammen knapp 30 Prozent der Stimmen für einen gehörigen Rechtsruck im Land.

Sonderanstalt für Asylwerber

Ob Haider in seiner neuen Rolle als „Staatsmann“ nur ein Wolf im Schafspelz war? Er war jedenfalls weiter ein Taktiker der Demagogie, er blieb in vielen seiner Positionen hart. So ließ der Landeshauptmann Asylwerber aus Kärnten in andere Bundesländer abschieben. Und erst in der vergangenen Woche richtete er eine Sonderanstalt für straffällig gewordene Asylwerber ein – droben auf der Saualpe in 1300 Metern Höhe. In seinem populären Widerstand gegen zweisprachige Ortstafeln zugunsten der slowenischen Minderheit ignorierte der Staatsrechtler Haider Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Dass er auf der anderen Seite intensive Bande mit der Politik und Wirtschaft in Slowenien knüpfte, ja sogar trefflich die dortige Sprache parlierte, erscheint nur als ein weiterer Widerspruch in der Karriere des Populisten.

Haider hat zeitlebens polarisiert und Widerspruch provoziert. Auf die Nachricht von seinem Tod reagierten die einfachen Menschen und auch das offizielle Österreich betroffen. Kaum einer, der Haiders zahlreiche extremistische Ausfaller verurteilen wollte, keiner der seine Politik verantwortlich machte für die Spaltung in Österreich und die Isolation im Ausland. Bundespräsident Heinz Fischer sprach von einer „menschlichen Tragödie“. Noch-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) sagte, Haider habe die gesamte innenpolitische Landschaft über Jahrzehnte hinweg geprägt. Und der Pressesprecher des Politikers, Stefan Petzner, weinte in die Kameras, als er sagte: „Für uns ist das wie ein Weltuntergang.“ In Kärnten sei die Sonne vom Himmel gefallen.

Das alles mag – untypisch für Österreich - nicht einmal geheuchelt gewesen sein. Und vielleicht erklärt genau das am besten das Phänomen Jörg Haider.

Stephan Kabosch

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