Langsam drängt die Zeit: Jamaika mit vielen offenen Fragen
Berlin - Ein mögliches Jamaika-Bündnis muss nach Ansicht des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels deutlich mehr Geld in die Bundeswehr stecken. Bartels sagte der Deutschen Presse-Agentur, die begonnene Personalaufstockung und die materielle Nachrüstung der Bundeswehr müssten fortgesetzt werden.
Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen hatten in Berlin ihre Sondierungen über eine Jamaika-Koalition fortgesetzt. Auf der Tagesordnung standen Außenpolitik, Verteidigung, Entwicklungspolitik und Handel sowie Familie, Frauen, Senioren und Jugend.
Außerdem sollten noch zwei strittige Themen vom Mittwoch abgeschlossen werden. Aus Teilnehmerkreisen hieß es, Experten hätten bis weit nach Mitternacht an einem Papier für Wirtschaft und Verkehr geschrieben. Am frühen Donnerstagmorgen hätten die abschließenden Arbeiten an dem Agrarpapier begonnen.
Bei der Verteidigungspolitik war Streitpunkt der Jamaika-Parteien im Wahlkampf vor allem das vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel der Nato, also eine Anhebung der Verteidigungsausgaben in Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2024. US-Präsident Donald Trump hatte Deutschland aufgefordert, schneller auf dieses Ziel zuzusteuern. Deutschland liegt derzeit bei 1,2 Prozent.
Grünen wollen Wende im Handel
Die Grünen verlangen für den Fall einer Jamaika-Koalition eine Wende in der deutschen Handelspolitik. "Wir Grünen werden sehr deutlich eine Abkehr von der blinden Freihandelsagenda hin zu einer fairen Handelspolitik einfordern", sagte die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger der dpa. Sie koordiniert für ihre Partei die Sondierungen zu Außenpolitik, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und Handel. "Eine neue Bundesregierung muss die berechtige Kritik vieler Menschen an Abkommen wie CETA und TTIP endlich ernst nehmen und sich die gerechte Gestaltung der Globalisierung zum Ziel setzen", sagte Brugger.
FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff machte vor Beginn der Sondierungen allerdings deutlich, dass sich seine Partei für Freihandel einsetze, etwa für Abkommen mit Japan und Australien. Er verwies darauf, dass Deutschland Exportweltmeister sei. Es komme also darauf an, deutschen Unternehmen Zugang zu Märkten zu sichern. Nach Lambsdorffs Ansicht sollte bei dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato für die Verteidigungsausgaben auch die Entwicklungsausgaben berücksichtigt werden. Der FDP gehe es auch um die Bekämpfung von Fluchtursachen.
Die Grünen verlangten, den Export von Rüstungsgütern zu drosseln. "Mehr Verantwortung in der Außenpolitik bedeutet weniger Rüstungsexporte", sagte Brugger. Es brauche ein klares Zeichen für Menschenrechte, Frieden und Sicherheit sowie einen Stopp von Waffengeschäften mit Staaten wie Saudi-Arabien.
Mit Blick auf die Türkei sagte Grünen-Chef Cem Özdemir: "Es macht keinen Sinn, jetzt über die Mitgliedschaft zu diskutieren. Jeder, der bei Trost ist, weiß, es gibt mit Präsident (Recep Tayyip) Erdogan keine Mitgliedschaft in der Europäischen Union." Stattdessen solle man lieber darüber reden, wie die "Freilassung der deutschen Geiseln" erreicht werden könne. Bei Jamaika-Gesprächen über die Europapolitik hatte die CSU einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert, die faktisch bereits auf Eis liegen.
Auch Diesel-Zukunft ein großer Streitpunkt
Auch bei wichtigen Verkehrsthemen sind die vier Parteien weiterhin auseinander. Die CSU habe in den Beratungen deutlich gemacht, dass sie ein Verbot des Verbrennungsmotors und Fahrverbote für Diesel-Autos nicht akzeptieren werde, sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die Grünen fordern ein Aus von Neuzulassungen mit Diesel- und Benzinmotoren ab 2030.
Die Grünen wollen in den Jamaika-Gesprächen über Familienpolitik das Thema Kinderarmut in den Mittelpunkt stellen. Man werde darüber sprechen, dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut lebe und Armut auch arm an Chancen bedeute, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Sie forderte ein "Recht für Frauen und Männer auf Rückkehr in Vollzeit". Das hatte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in der großen Koalition nicht gegen die Union durchsetzen können, obwohl es im Koalitionsvertrag stand.
Am Vortag hatten sich die Jamaika-Unterhändler darauf verständigt, angesichts stark steigender Mieten mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Zudem solle die Leistungskraft der Kommunen gestärkt und bisherige Finanzierungsprogramme fortgesetzt werden. Bei Sozialkosten sollen sie entlastet werden.
Für bezahlbaren Wohnraum sollen öffentliche Grundstücke günstig zur Verfügung gestellt werden. Steuerliche Anreize soll es etwa über die Grunderwerbssteuer oder ein Baukindergeld geben.
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