Lage an der türkisch-griechischen Grenze ruhiger

Mehr als 40.000 Grenzübertritte hat die griechische Polizei bislang verhindert, seitdem Tausende Migranten an der EU-Außengrenze auf ihre Chance zur Einreise warten. Inzwischen hat sich die aufgeheizte Situation etwas beruhigt.
von  dpa
Ursula von der Leyen (l-r) und Charles Michel sprechen mit Recep Tayyip Erdogan und Mevlut Cavusoglu im Rahmen des Treffens der Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei.
Ursula von der Leyen (l-r) und Charles Michel sprechen mit Recep Tayyip Erdogan und Mevlut Cavusoglu im Rahmen des Treffens der Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei. © Dario Pignatelli/EU Council/dpa/dpa

Athen - Am Tag nach dem Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit der EU-Führung in Brüssel ist es am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros (türkisch: Meric) insgesamt ruhig geblieben.

Nur vereinzelt versuchten Migranten, den Grenzzaun zu überwinden oder den Fluss zu durchqueren, wie der staatliche griechische Sender ERT am Dienstag unter Berufung auf die Polizei berichtete.

Demnach hinderten griechische Sicherheitskräfte von Montag- bis Dienstagmorgen etwa 1000 Menschen daran, über die Landesgrenze nach Griechenland und damit in die EU zu kommen. Seit Beginn der Krise vor gut einer Woche hat die griechische Polizei nach eigenen Angaben mehr als 40 000 Grenzübertritte verhindert.

Erdogan und sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatten sich am Montagabend mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel in Brüssel getroffen. Erdogan hatte vor zehn Tagen erklärt, die Grenzen seines Landes zur EU seien offen. Daraufhin strömten Tausende Migranten zur griechisch-türkischen Grenze und versuchten, sie ohne griechische Genehmigung zu überqueren.

Die griechische Polizei stoppte sie in den ersten Tagen unter Einsatz von Tränengas. Auch von der türkischen Seite wurden Tränengas und Rauchbomben über den Zaun geschossen. Zwischenzeitlich versuchten Migranten mit Unterstützung türkischer Sicherheitskräfte, den Zaun niederzureißen. Auch flogen immer wieder Steine aus den Reihen der Migranten.

Die EU kritisiert die Erklärung Erdogans zur angeblichen Grenzöffnung scharf. Athen wirft Ankara vor, die Migranten zu instrumentalisieren, um die EU zu zwingen, politische und finanzielle Wünsche der Türkei zu erfüllen.

Am Dienstag legte Außenminister Cavusoglu dar, welche Forderungen es sind: Angesichts der "neuen Umstände", etwa in Syrien, werde man mit der EU besprechen, was zusätzlich getan werden könne, sagte Cavusoglu in einem Interview mit der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu.

Cavusoglu betonte zudem, dass die Türkei bereit sei, neue Kapitel im EU-Beitrittsprozess zu eröffnen. Er kritisierte, dass EU-Gelder für die Unterstützung der Türkei für die Aufnahme von Flüchtlingen und den Stopp von Migranten gen Westen an Ankara noch nicht vollständig ausgezahlt worden seien. Erst seit die Migranten an die griechischen Grenze gekommen seien, habe die EU die Probleme verstanden, sagte er.

Der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei von März 2016 sieht eigentlich vor, dass die Türkei gegen illegale Migration vorgeht. Ankara erhält im Gegenzug unter anderem finanzielle Unterstützung von insgesamt sechs Milliarden Euro. Laut EU-Kommission sind bislang 4,7 Milliarden Euro vertraglich vergeben und rund 3,2 Milliarden ausbezahlt.

Erdogan will sich nach eigenen Angaben am kommenden Dienstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Istanbul treffen. "Wir werden einen Vierergipfel haben, wenn Boris Johnson (auch) kommen kann - wenn nicht, haben wir einen Dreiergipfel", sagte Erdogan laut einem vom präsidialen Presseamt veröffentlichten Transkript eines Gesprächs mit Journalisten. Zur konkreten Agenda sagte er nichts-

In Griechenland wurden am Dienstag keine Bewegungen größerer Gruppen von Migranten gesichtet. Die Sicherheitsbehörden nutzten die Ruhe, um beschädigte Stellen des Zauns am Grenzübergang von Kastanies zu reparieren und weitere Hindernisse zu bauen, um Grenzübertritte zu vereiteln, wie im Staatsfernsehen (ERT) zu sehen war. Auf den Inseln im Osten der Ägäis waren am Montag - am fünften Tag in Folge - nur wenige Migranten angekommen.

Unterdessen kritisierten humanitäre Organisationen wie Human Rights Watch (HRW) Griechenlands Entschluss, ab dem 1. März einen Monat lang keine Asylanträge anzunehmen. HRW beklagt vor allem die Situation von rund 450 Migranten, die in einem Schiff im Hafen von Mytilini vor der Insel Lesbos festgehalten werden. Die Verweigerung eines Asylantrags und die Drohung, "sie zurück zu ihren Verfolgern zu schicken, stehen im krassen Gegensatz zu den gesetzlichen Verpflichtungen, denen Griechenland zugestimmt hat", hieß es.

Auch die beiden großen christlichen Kirchen in Bayern kritisierten den Umgang mit Flüchtlingen an der griechisch-türkischen Grenze. "Anstatt humanitäre Lösungen zu finden, bei denen alle Länder Europas Verantwortung übernehmen, hält man sich Männer, Frauen und Kinder, die Schutz suchen, mit Tränengas vom Leib", sagte der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, laut Mitteilung vom Dienstag. Es sei erbärmlich, was sich an der Grenze derzeit abspiele.

Ähnlich äußerte sich der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Freisinger Bischofskonferenz. "Es geht nicht um unkontrollierte Grenzöffnung, sondern darum, die konkrete Not nicht aus den Augen zu verlieren." Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan treibe ein zynisches Spiel, in dem er Menschen an die Grenzen locke. Die Türkei habe aber dennoch 3,7 Millionen Menschen aufgenommen. Dass sich das christliche Europa weigere, 5000 Kinder aufzunehmen, sei dagegen unverständlich.

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