Kurt Beck: Müntefering soll erst mal trauern
Das Polit-Comeback des Franz Müntefering: In der SPD jubeln die Parteiflügel, der Chef Kurt Beck aber bremst – und die SPD-Forscher warnen.
BERLIN Das Lob des Koalitionspartners klingt nett, ist aber schwer vergiftet: Er würde die Rückkehr von Ex-Vizekanzler Franz Müntefering in die erste Reihe der Berliner Politik „außerordentlich begrüßen“, säuselt CDU-Vize Christian Wulff. Er habe den Kollegen von der SPD als „kompetenten Politiker“ erlebt, „der wusste, wovon er sprach“, raspelt Wulff Süßholz – und watscht die aktuelle Parteispitze um Kurt Beck ab: Münteferings Rückkehr dürfte nicht nur der Koalition gut tun, sondern ermögliche es auch der SPD, ihre „Konfusion“ zu überwinden.
Am Wochenende war in Münteferings Umfeld bestätigt worden, dass der Sauerländer seine Arbeit als Bundestagsabgeordneter nach der Sommerpause wieder voll aufnehmen wolle. Der 68-Jährige hatte Ende 2007 mit Ausnahme des Mandats alle politischen Ämter aufgegeben, um seine todkranke Frau zu pflegen. Sie starb Ende Juli.
Säuerlich reagiert SPD-Chef Beck auf die Berichte über seinen Vorvorgänger: „Wir haben Kontakt miteinander“, sagt Beck schmallippig auf einer Sommerreise durch Brandenburg. „Spekulationen sind aber unangebracht.“ Man müsse Müntefering zunächst „zubilligen, seine Trauer zu verarbeiten“. Ungleich euphorischer wird das Münte-Comeback in der SPD-Fraktion kommentiert – und zwar flügelübergreifend: Neben dem konservativen Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs freut sich auch Innenexperte Sebastian Edathy darüber, dass Müntefering wieder in die aktuelle Politik eingreifen will. Der Ex-Minister sei eine „zentrale Integrationsfigur für die SPD“, könne aber auch die Notwendigkeit von Reformen verdeutlichen. Von einem „einzigartigen Erfahrungsschatz“ Münteferings schwärmt selbst der dem linken SPD-Flügel zugehörige Umweltstaatssekretär Michael Müller: „Den sollte man in geeigneter Weise nutzen.“
„Müntefering steht merkwürdigerweise in dem Ruf der Glaubwürdigkeit und Geradlinigkeit“, wundert sich der Göttinger Parteienforscher Franz Walter über solche Jubelarien. „Klare Kante“ sei zwar „die Aura, die Müntefering umgibt“. Aber der Sauerländer habe in seinem politischen Leben „schon etliche Rochaden“ mitgemacht, so Walter zur AZ: „Müntefering war nie irgendwo fest angesiedelt, er diente allen Seiten und allen Herren – von Lafontaine über Scharping bis zu Schröder. Von seinem Wesen her ist er kein Mann der Richtung.“
Auch Walters Mainzer Kollege Jürgen Falter warnt davor, zu viel von der Rückkehr Münteferings zu erwarten. Zwar könnten kurzfristig die Umfragewerte steigen. „Aber die Zerrissenheit der Partei ist damit nicht beseitigt.“ Das gelte vor allem für den Grundsatzkonflikt über die Öffnung zur Linkspartei.
Interview mit Johannes Kahrs, Sprecher des rechten SPD-Flügels:
AZ: Herr Kahrs, der Lotse kommt zurück an Bord. Man hat den Eindruck, mit der Rückkehr Franz Münteferings geht ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durch Ihre geplagte Partei?
JOHANNES KAHRS: O Gott, diese Formulierung finde ich schwierig. Franz ist damals aus persönlichen Gründen gegangen. Wenn er nun wiederkommt, dann ist das für alle in der SPD richtig und toll. Jetzt muss er sich halt mit Kurt Beck, Peter Struck und den anderen einig werden, wie man ihn am sinnvollsten wieder in eine Funktion bringen kann, von der alle etwas haben. Und: Er muss erstmal sagen, wozu er überhaupt Lust hat.
Gibt es in der SPD eigentlich eine Sehnsucht nach Franz Müntefering als Identifikationsfigur?
Franz Müntefering ist einer von denjenigen Politikern, die klare Ansagen, klare Strukturen, klares Profil verkörpern. Davon kann eine Partei gar nicht genug haben. Aber eine Identifikationsfigur wird die SPD erst dann wieder haben, wenn die Frage der Kanzlerkandidatur geklärt ist. Das geht im Moment noch nicht.
Warum nicht?
Das wäre zu früh. Sobald Sie einen Kanzlerkandidaten ausrufen, fangen Sie mit dem Wahlkampf an. Keiner will aber jetzt Wahlkampf. Zumal das auch kein Bürger verstehen würde.
Ist Müntefering derzeit wirklich mehrheitsfähig in der SPD? Zuletzt galt er als Gralshüter der Agenda 2010, und auf dem Hamburger Parteitag wurde er beim ALGI niedergestimmt.
Das ist Geschichtsklitterung! Dass wir beim ALG I gekippt sind, hatte weder etwas mit Müntefering oder Andrea Nahles zu tun, sondern damit, dass die CDU dessen Verlängerung bereits ein Jahr zuvor beschlossen und Parteivize Rüttgers sie immer gepredigt hat. Also hat unser ALGI-Beschluss nichts mit innerparteilichem Krempel zu tun, sondern damit, dass sich die CDU nicht an die Verabredung in der Koalition gehalten hat. Wenn der christdemokratische Gegenpart sowas propagiert, kann man als sozialdemokratische Partei nicht mehr standhalten.
Was halten Sie vom Ratschlag Ihres Kieler Genossen Ralf Stegner, der Müntefering zur Friedrich-Ebert-Stiftung abschieben will?
Herr Stegner sollte erst einmal eine Wahl gewinnen, bevor er sich dauernd öffentlich äußert.
Interview.: Markus Jox