Kurswechsel bei der Migration? Kanzler Olaf Scholz kämpft gegen erstarkende Rechtspopulisten

Berlin - Diese Woche empfängt Olaf Scholz im Kanzleramt eine Besucherin, der er ganz genau zuhören sollte: Mette Frederiksen, die dänische Regierungschefin, ist Sozialdemokratin wie er. Doch die Probleme mit schwindender Wählergunst und erstarkenden Rechtspopulisten, die den Kanzler und seine SPD plagen, kennt sie nicht.
Dänemark vollzog Kehrtwende in der Flüchtlingskrise
Dass Dänemark in Feldern wie der Digitalisierung, bei der es in Deutschland so gewaltig hapert, weltweit Spitze ist, dürfte dafür nicht der Hauptgrund sein. Sondern die Kehrtwende, die die dänische Sozialdemokratie nach den Erfahrungen der Flüchtlingskrise von 2015 vollzogen hat.
Unter dem Eindruck entstehender Parallelgesellschaften und krimineller Clans in dänischen Großstädten gewannen unter den "Socialdemokraterne" einige Überzeugungen die Oberhand, die bei vielen deutschen Genossinnen und Genossen für Schnappatmung sorgen: Hohe Sozialleistungen lassen sich bei unbegrenzter Zuwanderung auf Dauer nicht aufrechterhalten.
Die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft hat Grenzen, werden sie überschritten, führt das zu Problemen. Und es sind die Menschen in den Arbeitervierteln, die sie besonders heftig zu spüren bekommen.
Niedergang der SPD durch Erfolg der AfD?
So hat das Land, das jahrzehntelang für seine offenen Arme für Flüchtlinge und sein engmaschiges Fürsorgenetz bekannt war, eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die garantieren sollen, dass Zuwanderung, die weiter als notwendig gesehen wird, nicht ungeregelt und überwiegend in die Sozialsysteme erfolgt. So wurden etwa Geldleistungen gekürzt und der Familiennachzug erschwert, Abschiebungen erfolgen selbst nach Syrien, abgelehnte Asylbewerber müssen sich in sogenannten Rückkehrzentren aufhalten. Dänemark-Urlauber wissen zudem, dass an der Grenze Kontrollen stattfinden.
Inzwischen lässt die Schärfe nach, mit der die deutsche SPD den Dänen-Kurs anfangs verurteilt hat. Strategisch denkende Genossinnen und Genossen haben erkannt: Der Erfolg der AfD und der Niedergang der SPD in den Umfragen hängen wohl enger zusammen, als ihnen lieb ist. Sollte noch dazu Linken-Ikone Sahra Wagenknecht eine eigene Partei gründen, die Politik für die "kleinen Leute" mit Zuwanderungsskepsis verknüpft, würde die SPD wohl noch weitere Federn lassen. Bei den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im kommenden Jahr drohte dann endgültig ein Debakel.
Schon in diesem Jahr wird nicht nur in Bayern gewählt, wo eine SPD-Schlappe traditionell eingepreist ist, sondern auch in Hessen. Dort versucht Nancy Faeser als Spitzenkandidatin verzweifelt, an frühere SPD-Erfolge anzuknüpfen.
Clan-Problematik und Migration: SPD muss umdenken
Dafür nimmt sie als amtierende Bundesinnenministerin Anleihen an die harte Linie in der inneren Sicherheit, für die in der SPD einst Otto Schily stand. Doch ihr Vorstoß, auch solche Angehörige krimineller Clans auszuweisen, die selbst gar nicht straffällig geworden sind, ging nach hinten los.
Tenor der Kritik: rechtlich hanebüchen und praktisch nicht machbar, ein Großteil der Clan-Mitglieder hat ohnehin längst den deutschen Pass. Was die Debatte aber zeigt, ist dass die Sozialdemokraten umdenken.
Selbst von Saskia Esken, der Parteichefin aus dem ganz linken SPD-Lager, waren jüngst ungewohnte Töne zu hören: Es sei notwendig, die irreguläre Migration einzudämmen. Auch die Migration insgesamt müsse in Ordnung gebracht werden, sagte sie.
Zeitwende: Konsequentere und menschliche Migrationspolitik ist notwendig
Derlei Erkenntnisse haben freilich noch nicht zu konkreten Veränderungen geführt. Dabei führt die SPD die Regierung an, ist also zu mehr als Symbolpolitik fähig. Wenn Olaf Scholz Frederiksen trifft, sollte er sich anschließend nicht dazu hinreißen lassen, den Knallhart-Kurs des kleinen skandinavischen Landes eins zu eins zu kopieren. Doch wenn er eine migrationspolitische Zeitenwende hinbekäme, die eine Migrationspolitik zu Folge hat, die deutlich konsequenter wird und dabei menschlich bleibt, könnte er seine SPD wieder auf die Gewinnerstraße führen.
Wagen muss er das, selbst wenn die deutschen Sozialdemokraten vielleicht schon zu lange gezögert haben. Für Kurskorrekturen, auch das zeigt der Blick nach Norden, ist es irgendwann zu spät. Im dänischen Nachbarland Schweden haben die zuvor lange Jahre führenden Sozialdemokraten die Kurve nicht gekriegt und die Macht verloren. Nun herrscht in Stockholm eine Mitte-Rechts-Koalition, die sich von den AfD-ähnlichen Schwedendemokraten tolerieren lassen muss.