Kroatien verklagt Serbien

Ein ganzer Staat steht jetzt in Den Haag wegen Völkermords vor Gericht
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Ja, es war Völkermord: Zwei Frauen in der Gedenkstätte von Srebrenica. Aber reicht es für einen Schuldspruch gegen Belgrad?
Ja, es war Völkermord: Zwei Frauen in der Gedenkstätte von Srebrenica. Aber reicht es für einen Schuldspruch gegen Belgrad?

Den Haag - 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg auf dem Balkan steht Serbien nun vor Gericht: Gestern hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag offiziell das Verfahren gegen das Land wegen Völkermords eröffnet. Kroatien hat die Klage schon 1999 eingereicht, doch Serbien hat lang versucht, sie abzuwenden.

„Serbien schürte, organisierte und ermöglichte den Völkermord“, sagte die Vertreterin Kroatiens, Völkerrechts-Professorin Vesna Crnic-Grotic, gestern zum Auftakt. Im Krieg 1991 bis 1995 habe es sich des „systematischen Völkermords“ schuldig gemacht. Konkret wirft Zagreb Belgrad den Tod von 13 500 kroatischen Kriegsopfern vor, sowie die Vertreibung von Hunderttausenden im Rahmen der „ethnischen Säuberungen“. Im Mittelpunkt der Beweisführung steht die Zerstörung der kroatischen Stadt Vukovar 1991.

Das Verfahren kann ein Meilenstein in der Rechtsgeschichte sein: Noch nie ist ein Staat auf der Grundlage der UN-Konvention für Völkermord verurteilt worden. Dass die Konvention überhaupt geschaffen wurde, war die Lehre aus dem beispiellosen Massenmord Deutschlands an den Juden. Doch die Justiz tut sich schwer: Mehrere Gerichte, etwa das UN-Kriegsverbrechertribunal ebenfalls in Den Haag, haben schon einzelnen Personen den Prozess gemacht. Der damalige serbische Präsident Slobodan Milosevic starb während seines Verfahrens, aktuell müssen sich noch Ratko Mladi und Radovan Karadzic verantworten. Der Beweis gegen einen ganzen Staat, er habe Kriegsverbrechen systematisch organisiert, ist schwerer zu führen.

Der erste Anlauf gegen Serbien ist auch schon gescheitert: 2007 hatte es Bosnien-Herzegowina versucht, ebenfalls wegen der Greuel im Balkan-Krieg. Kernstück der Klage war hier das Massaker in Srebrenica, wo bosnische Serben 8000 Männer und Buben ermordeten. Die IGH-Richter lehnten es mit 13 zu zwei Stimmen ab, Serbien schuldig zu sprechen: Srebrenica sei zwar zweifelsfrei Völkermord, es gebe aber nicht genug Belege, dass die Machthaber in Belgrad die Taten der bosnischen Serben organisiert oder angeordnet haben. Entsprechend dünn sind nun auch die Aussichten Kroatiens, das Verfahren zu gewinnen. Zudem hat Serbien 2010 eine Gegenklage eingereicht, die den Kroaten die Tötung von 6500 Serben und die Vertreibung von 200 000 Menschen vor allem aus der Krajina vorwirft.

Doch Zagreb hofft auf einen Schuldspruch. Der würde auch das Einfordern von Reparationszahlungen möglich machen – und die wiederum würden das wirtschaftlich ohnehin kurz vor dem Bankrott stehende Serbien massiv erschüttern. In beiden Ländern wird der Prozess sehr aufmerksam verfolgt – und auch in Brüssel: Das jüngste EU-Mitglied verklagt den jüngsten Anwärter.

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