Krisengipfel im Kanzleramt: Das Sonntags-Gegacker
BERLIN - "Beste Atmospäre": Merkel, Westerwelle und Seehofer trafen sich am Sonntagabend zum Krisengipfel. Das ständige Streitthema: Steuersenkungen. Aber auch über die Zukunft des Gesundheitswesen wurden gesprochen.
Lange Erklärungen der drei Parteichefs gab es nach dem Treffen im Kanzleramt ebenso wenig wie joviales Herumgeplänkel: Nach zweieinhalb Stunden „in bester Atmosphäre“ beendeten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) gestern Abend ihren Krisengipfel und rauschten wortlos ab – zum gemeinsamen Abendessen in einem Berliner Restaurant.
Als hätten sie mit ihren zänkischen Truppen nicht schon genug Ärger, hatte am Mittag auch noch der Münchner Erzbischof Reinhard Marx dem Trio seinen Segen verweigert: Politiker sollten ein Zeichen setzen und sonntags keine Arbeitssitzungen abhalten, forderte der Oberhirte grollend die Sonntagsruhe ein.
Die Strippenzieher der drei Chefs hatten denn auch vorab versucht, die Erwartungen an das Treffen niedrig zu hängen. Das sei ein „normaler interner Termin“, an den man keine „Heilserwartung“ knüpfe, hieß es augenrollend. Schon gar nicht rechne man mit „spektakulären Beschlüssen“.
Hauptthema im Kanzleramt war der Dauerstreit über die von der FDP geforderten weiteren Steuersenkungen in Höhe von 24 Milliarden Euro. Dem Vernehmen nach einigten sich die drei Parteichefs darauf, vor einer Entscheidung die Steuerschätzung im Mai abzuwarten. Auf der Tagesordnung standen auch der Konflikt um die Besetzung des Beirats der Vertriebenenstiftung mit CDU-Frau Erika Steinbach, gegen die Westerwelle sein Veto eingelegt hat, die Zukunft des Gesundheitswesens und die Strategie für die Afghanistan-Konferenz in London, wo von Deutschland zusätzliche Truppen verlangt werden dürften.
Im Steuerstreit hatten sich die Liberalen zuletzt kompromissbereit gezeigt. FDP-Vize Andreas Pinkwart sagte, seine Partei könne auch damit leben, wenn die Steuerreform statt 2011 erst 2012 in Kraft trete. „Wir lassen über den Fahrplan mit uns reden, aber nicht über die Höhe der Entlastungen“, stellte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger klar.
CDU und CSU äußern sich dagegen zunehmend skeptisch: „Wenn die Steuersenkungen 2011 nicht kommen, kommen sie auch 2012 nicht“, heißt es aus Unionskreisen. Finanzminister Wolfgang Schäuble verwies kühl auf den Finanzierungsvorbehalt im Koalitionsvertrag: „Alles muss finanzierbar bleiben. Ob, wann und wie viel – das entscheiden wir Mitte 2010.“ Seine Beamten soll Schäuble laut „Spiegel“ angewiesen haben, bei der Berechnung des Staatsdefizits eine Steuerreform auszuklammern.
Unionsfraktionschef Volker Kauder rief derweil eindringlich zur Geschlossenheit auf: „Es darf nicht mehr jeden Tag etwas herausgegackert werden. Sonst erleben wir ein Kommunikationsdesaster wie Rot-Grün bei Hartz IV.“ Westerwelle hielt das nicht davon ab, CDU und CSU unmittelbar vor dem Gespräch mit Merkel und Seehofer zur Ordnung zu rufen: „Liebe Freunde von der Union, euer Gegner ist nicht die FDP. Eure Gegner sind SPD, Grüne und Linkspartei.“
Vielleicht wird’s aber ja am Dienstag was mit einem friedlichen Neustart: Dann sollen sich auch die Abgeordneten von Union und FDP treffen – zur Kennenlern-Party in einem Berliner Hotel. Angeblich sogar ohne Presse. M. Jox