Kriegschaos gefährdet OSZE-Einsatz in der Ukraine
Die anhaltende Gewalt in der Ostukraine bringt den Einsatz der neutralen OSZE-Beoachter in Gefahr. Der neue Präsident Petro Poroschenko sprach in der "Bild"-Zeitung offen von "Kriegszustand" und verteidigte das Vorgehen der Streitkräfte.
Berlin/Kiew/Brüssel - Aber auch im Westen der Ukraine sind nicht alle Spannungen nach der Wahl Poroschenkos verschwunden. So weigern sich regierungskritische Aktivisten, ihr Protestlager auf dem Maidan-Platz in Kiew aufzulösen.
Vier Konfliktbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die am Dienstag an einem Kontrollposten verschleppt worden waren, blieben am Mittwoch verschwunden.
"Wir wissen nicht, wo und in wessen Händen genau sie sind", sagte eine OSZE-Sprecherin. Sollte es zu gefährlich werden, müsse man über den Abzug der Beobachter nachdenken, sagte der deutsche OSZE-Sondergesandte Wolfgang Ischinger im ZDF-"Morgenmagazin".
Die dänische Regierung sieht die Beobachter aus der Schweiz, Dänemark, Estland und der Türkei in der Hand bewaffneter Separatisten. Die Separatisten in Donezk erklären jedoch, sie hätten mit dem Vorfall nichts zu tun. Ihr Führungsmitglied Miroslaw Rudenko sagte der Agentur Interfax: "Es ist nicht auszuschließen, dass die Beobachter in die Feuerzone geraten sind." Bei Donezk seien auch proukrainische Privatmilizen im Einsatz.
Derzeit sammeln 282 Beobachter in der Ukraine Fakten zur Lage. Ende April waren internationale Militärbeobachter, darunter vier Deutsche, von Separatisten in Slawjansk tagelang festgehalten worden.
Ungeachtet eines russischen Aufrufs zur Zurückhaltung setzten die ukrainischen Regierungstruppen ihren Kampfeinsatz in der Industriemetropole Donezk fort. Die Separatisten behaupteten, sie hätten den Flughafen zurückerobert. Örtliche Internetportale berichteten, über der Stadt kreisten Kampfflugzeuge. Bürgermeister Alexander Lukjantschenko rief die Einwohner auf, zu Hause zu bleiben und sich nicht Fenstern zu nähern.
Auch aus Slawjansk wurden wieder Schusswechsel gemeldet. In Artjomowsk und Charzysk sollen indes die Barrikaden der Aufständischen geräumt worden sein.
Poroschenko sagte der "Bild", seine Truppen sollten die Führer der Separatisten festnehmen. "Wenn schwer bewaffnete Kämpfer auf -unsere Soldaten schießen, dann muss sich unser Militär wehren", erklärte er.
In Kiew widersetzten sich Aktivisten dem Aufruf zur Beendigung der Maidan-Proteste. In einem Manifest forderten sie ein neues Regierungssystem, eine Bestrafung der Verantwortlichen für den Tod von etwa 100 Demonstranten im Februar sowie die Entlassung korrupter Beamter.
Die EU-Staats- und Regierungschefs forderten Moskau am Dienstagabend zur Kooperation mit Poroschenko auf. Sie drohten zwar nicht mit neuen Strafmaßnahmen, doch schloss Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Wirtschaftssanktionen für den Fall einer neuen Destabilisierung der Ostukraine nicht aus. Kiew wurde aufgefordert, "auf die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft aller Regionen" zuzugehen.
Merkel wollte am Mittwochabend mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk über die Kämpfe und den Streit um russische Gaslieferungen sprechen. Russland verlangt, dass Kiew bis Ende dieser Woche zwei Milliarden US-Dollar Gasschulden begleicht. Sonst werde ab Montag Gas nur noch gegen Vorkasse geliefert.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht gute Chancen für eine Lösung des Gasstreits. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) arbeite hart an einer Lösung, sagte er am Mittwoch auf einer Konferenz des "Frankfurter Allgemeine Forums" und der Münchner Sicherheitskonferenz in Berlin.
Der russische Duma-Abgeordnete Ivan Grachev wies den Vorwurf zurück, Moskau nutze das Gas als Waffe: "Russland hat immer seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt."
Ischinger schlug vor, Poroschenko zu den D-Day-Feierlichkeiten am 6. Juni in die Normandie einzuladen. Dort kommen 70 Jahre nach der Landung der Alliierten im Zweiten Weltkrieg auf Einladung Frankreichs mehrere Staats- und Regierungschefs zusammen - auch Russlands Präsident Wladimir Putin.
Laut "Bild" wollen einige Staats- und Regierungschefs ihren Protest gegen das Vorgehen Russlands in der Ukraine protokollarisch deutlich machen. US-Präsident Barack Obama wolle nicht neben Putin auf der Ehrentribüne sitzen.