Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage am Donnerstag

Nach der Staudammexplosion im Süden der Ukraine sind die Retter im Dauereinsatz. Doch internationale Hilfsorganisationen sind laut Präsident Selenskyj nicht an vorderster Front. Die News im Überblick.
von  AZ/dpa
Ein Freiwilliger rettet einen Hund aus einem überfluteten Viertel in Cherson.
Ein Freiwilliger rettet einen Hund aus einem überfluteten Viertel in Cherson. © Evgeniy Maloletka/AP

Kiew – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die internationalen Hilfsorganisationen wegen ihrer angeblichen Passivität nach der durch eine Staudammexplosion hervorgerufenen Flutkatastrophe kritisiert.

"Jeder tote Mensch ist ein Urteil für die bestehende internationale Architektur, für internationale Organisationen, die vergessen haben, wie man Leben rettet", sagte er am Vorabend in seiner täglichen Videoansprache. Er machte keine Angaben, wie viele Ukrainer durch das Hochwasser ums Leben kamen.

Kritik am Roten Kreuz

Stattdessen sprach er von 2000 Menschen, die im ukrainischen Teil des vom Hochwasser besonders betroffenen Gebiets Cherson gerettet worden seien. Schwer sei die Lage allerdings im russisch besetzten Teil des Gebiets. Selenskyj warf den russischen Truppen vor, die Menschen dort im Stich zu lassen - und ukrainische Rettungsversuche zu torpedieren. In dem Zusammenhang kritisierte er internationale Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, das seiner Ansicht nach in dieser Region aktiver sein müsste.

Die Kritik hatte der ukrainische Präsident zuvor schon im Interview von "Welt", "Bild" und "Politico" in Kiew geäußert. Den russischen Truppen auf dem von ihnen eroberten Südufer des Dnipro-Stroms machte er schwere Vorwürfe: "Wenn unsere Kräfte versuchen, die Menschen rauszuholen, dann werden sie von den Besatzern aus der Entfernung beschossen."

Er bedankte sich aber für bilaterale Hilfszusagen aus dem Ausland. Er habe mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan telefoniert und konkrete Hilfsangebote besprochen.

In der Nacht zum Dienstag war der Kachowka-Staudamm des Flusses Dnipro durch eine Explosion schwer beschädigt worden. Die Ukraine und der Westen machen Russland für die Zerstörung verantwortlich. Moskau bestreitet dies und beschuldigt wiederum Kiew, den Damm aus militärischen Erwägungen beschossen zu haben.

Erdogan schlägt Untersuchungskommission vor

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schlug eine Untersuchungskommission zur Dammexplosion vor. Erdogan habe dies gestern in separaten Telefonaten mit Kremlchef Wladimir Putin und Selenskyj angesprochen, teilte das Präsidialamt in Ankara mit.

Putin meldete sich nach der Explosion erstmals zu Wort. Er beschuldigte die ukrainische Führung, hinter der Staudammexplosion zu stecken. Dies sei ein Beispiel dafür, dass Kiew und die Hintermänner im Westen auf eine "weitere Eskalation der Kampfhandlungen setzen, Kriegsverbrechen begehen, offen terroristische Methoden anwenden und Sabotageakte auf russischem Gebiet organisieren", hieß es in der Pressemitteilung des Kremls.

Frankreich verurteilt Angriff auf Staudamm

Macron verurteilte den Angriff auf den Damm und sicherte der Ukraine schnelle Hilfe zu. "Wir werden in den allernächsten Stunden Hilfe schicken, um den unmittelbaren Bedarf zu decken", sagte Macron nach dem Telefonat mit Selenskyj. Wie der Élyséepalast mitteilte, werde das Krisen- und Unterstützungszentrum des Außenministeriums schnell einen ersten Konvoi mit etwa zehn Tonnen der von den Ukrainern angeforderten Produkte im Bereich Gesundheit, Hygiene, Wasseraufbereitung und tragbare Tanks auf den Weg bringen.

THW schickt Hilfsgüter in Flutregion

Das Technische Hilfswerk (THW) schickte schon acht Laster mit Hilfsgütern in Richtung Ukraine. Sie würden dort am Freitag oder Samstag erwartet, sagte THW-Präsident Gerd Friedsam in den ARD-"Tagesthemen". Zunächst würden Trinkwasserfilter und Stromgeneratoren geliefert. "Und wir ergänzen das jetzt nochmal mit Unterkunftsmaterial, wie Zelten, Decken, Feldbetten." Die Hilfe richte sich nach den Anforderungen der ukrainischen Katastrophenschutzbehörden.

Selenskyj bestreitet Sabotage der Nord-Stream-Pipelines

Selenskyj bestritt eine Beteiligung seiner Regierung an den Sabotage-Aktionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2. "Ich bin Präsident und ich gebe entsprechende Befehle. Nichts dergleichen hat die Ukraine getan. Ich würde nie so handeln", sagte Selenskyj in einem Interview von "Bild", "Welt" und "Politico". Angesprochen auf einen entsprechenden Artikel der "Washington Post" forderte er Beweise für eine ukrainische Beteiligung. In dem am Dienstag veröffentlichten Artikel hieß es, dass die US-Regierung drei Monate vor den Explosionen im September 2022 von einem europäischen Geheimdienst von einem Plan des ukrainischen Militärs erfahren habe.

Ende September 2022 waren nach Explosionen nahe der dänischen Ostseeinsel Bornholm insgesamt vier Lecks an den beiden Pipelines entdeckt worden.

Moskau droht mit Aus für Getreidedeal

Russland warf der Ukraine einen Anschlag auf eine Ammoniakleitung vor und drohte deswegen mit dem Ende des Getreidedeals. "Am 5. Juni um 21 Uhr hat in der Ortschaft Masjutiwka im Gebiet Charkiw ein ukrainischer Aufklärungs- und Sabotagetrupp die Ammoniak-Pipeline "Togliatti - Odessa" gesprengt", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow.

Das russische Außenministerium bezeichnete die Sprengung als "Schlag gegen den Getreidedeal". International gibt es Sorgen, dass mit dem Scheitern des Abkommens die Lebensmittelpreise steigen.

Heftige Kämpfe an Frontabschnitten

In der Ukraine wird nach Angaben britischer Geheimdienstexperten weiterhin an mehreren Frontabschnitten heftig gekämpft. Die Ukrainer behielten dabei in den meisten Gebieten die Initiative, hieß es im täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London.

Die russischen Truppen seien wahrscheinlich angewiesen, so bald wie möglich zum Angriff überzugehen. So hätten tschetschenische Einheiten einen erfolglosen Versuch gemacht, den Ort Marjiwka nahe der Stadt Donezk einzunehmen.

Was heute wichtig wird

Die Rettungsarbeiten nach der Flutkatastrophe laufen auf Hochtouren. Es wird erwartet, dass der Wasserspiegel im Flutgebiet sich stabilisiert. Zugleich hat sich die Lage an den Frontabschnitten vielerorts verschärft. Die erwartete Großoffensive der Ukrainer steht Experten zufolge unmittelbar bevor. Gefechte gibt es sowohl im Süden der Ukraine als auch in der Region um Bachmut.

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