Kreuth: Endlich sind wieder Kameras auf die CSU gerichtet

In Kreuth trifft sich eine verunsicherte CSU – dort hat sie wenigstens die Aufmerksamkeit, die ihr in Berlin längst verloren gegangen ist
KREUTH Endlich sind die Kameras wieder auf sie gerichtet. Endlich steht sie wieder im Mittelpunkt. Endlich schaut die Republik wieder auf die CSU. Wenn auch nur für ein paar Tage in Kreuth, wo seit gestern die Bundestagsabgeordneten der CSU tagen. In Berlin scheinen sie von der Bildfläche verschwunden zu sein, wenn Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Vize Guido Westerwelle Zweisamkeit demonstriert.
„Unsere Außenwirkung ist nicht mehr so, wie sie einmal war", räumt einer aus dem Vorstand der Landesgruppe im Bundestag unumwunden ein. Dabei hatte doch gerade Horst Seehofer bei der Machtübernahme versprochen, er werde die Partei in Berlin wieder in Position bringen.
Aber wo ist die CSU? Ihre Bundestagsabgeordneten sind verunsichert, die Partei bis ins Mark erschüttert. Keiner weiß mehr, wo die Christsozialen überhaupt steht. Ihr Chef ist weit weg in München und vom Desaster um die Hypo-Alpe Adria gefangen.
Dabei hätten die Schwarzen aus Bayern in der Bundesregierung so viel Macht wie schon lange nicht mehr. Ohne ihre Stimmen geht in der schwarz-gelben Koalition nämlich nichts. Die 45 CSU-Abgeordneten sind das Zünglein an der Waage. Statt bisher zwei stellen sie in der neuen Regierung drei Minister. Aber dafür keinen in einem Schlüssel-Ressort. Auf der Regierungsbank sitzt die CSU nur noch in der zweiten Rehe.
Nur im Koalitionsvertrag durfte jeder schreiben, was er seinen Wählern versprochen hatte – und seine Duftmarken setzen. Wie der Steuerbonus für Hoteliers, den Seehofer unbedingt haben wollte.
Auf dem Berliner Radar taucht er kaum mehr auf. Aus den Top Ten der wichtigsten Politiker ist er herausgeflogen. Um ihn links liegen zu lassen, dafür ist Bundeskanzlerin Angela Merkel aber viel zu vorsichtig. Als kühle Machttechnikerin schickt sie ihm ständig SMS, spricht mit ihm alles ab. Nur in der CSU und draußen im Lande merkt das keiner. „Den Ball flach halten“, gibt Merkel als Losung aus. „Ich kann’s nicht mehr hören“, klagt einer aus dem Landesgruppen-Vorstand. „Wenn der Ball nur noch flach gehalten wird, merken die Zuschauer doch gar nicht mehr, dass Fußball gespielt wird.“
Die schwarze Mannschaft aus Bayern muss sich in Berlin eh erst finden. Die Spitze ist völlig neu. Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich (52) ist gerade vier Monate im Amt und bei den Wählern unbekannt. Der unauffällige, nachdenkliche Franke ist kein Hey-hier-bin-ich-Typ. Er überlegt lieber, wägt ab und verkauft nicht für einen guten Witz seine Großmutter. In Kreuth macht er auf zahm: Die Lage sei in Wirklichkeit viel besser, als die Wahrnehmung.
Der neue parlamentarische Geschäftsführer Stefan Müller (34) ist eher ein Mann des schnellen Wortes, sucht aber noch seine Rolle. CSU-General Alexander Dobrindt (39) wird sie nicht mehr finden. „Der kann’s einfach nicht", sagt einer aus der Spitze der Landesgruppe. In Kreuth schwadroniert er: „Die Koalition muss sich jetzt ein echtes Projekt geben.“ Hat sie noch keines?
Berlin-Insider munkeln, Merkel sehne sich schon nach der großen Koalition mit Kalibern wie Steinbrück und Steinmeier zurück.
Friede, Freude, Eierkuchen versucht die CSU jetzt in Kreuth zu praktizieren, wo sonst traditionell gegen den Koalitionspartner gebrüllt wird. Verkehrsminister Peter Ramsauer (55) macht ganz auf FDP-Linie Front gegen den Nacktscanner: „Bevor wir den Menschen die Kleider vom Leib reißen, sollten wir lieber prüfen, ob es wirklich was bringt.“ Ganz neue Töne von der Law-and-Order-Partei.
Auch von Superstar Karl-Theodor zu Guttenberg (38) kann die CSU nicht profitieren, der spielt sein eigenes Spiel. Als Verteidigungsminister gibt er die Linie in Afghanistan vor – eigentlich Sache des Außenministers. In Kreuth spart sich zu Guttenberg Seehofers Rede, kommt erst abends ins Tegernseer Tal.
Längst wird in der CSU darüber nachgedacht, ob es nicht doch besser wäre, das Amt des Ministerpräsidenten und das des Parteichefs zu trennen. „Dass der CSU-Chef nicht in der Bundesregierung sitzt, schwächt uns“, sagt ein einflussreicher Abgeordneter. Doch das ist in Kreuth tabu. Bei seinem Eintreffen verkündet der CSU-Chef, als wäre nichts. „Wir sind eine dynamische und selbstbewusste Partei.“ Angela Böhm