Kompromisse in Kiew: Regierungschef tritt zurück

Nach wochenlangem Machtkampf hat die prowestliche Opposition der ukrainischen Führung erste Zugeständnisse abgetrotzt. Unter dem Druck der teils gewaltsamen Proteste trat Regierungschef Nikolai Asarow am Dienstag zurück.
dpa |
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Kiew/Berlin - Er wolle so helfen, einen Weg aus der schweren Krise des Landes zu finden, sagte der 66-Jährige nach Angaben seines Pressedienstes. Als weiteres Zugeständnis an die Regierungsgegner nahm das Parlament mehrere repressive Gesetze zurück, die unter internationaler Kritik am 16. Januar verabschiedet worden waren.

Eine Abstimmung über eine von der prorussischen Führung um Präsident Viktor Janukowitsch angebotene Amnestie für inhaftierte Regierungsgegner verschob die Oberste Rada auf Mittwoch. Allerdings fordert Janukowitsch im Gegenzug die Räumung der in Kiew und anderen Städten besetzten Straßen und Gebäude.

Asarows Rücktritt gehörte zu den Minimalforderungen der Opposition um Boxer Vitali Klitschko. Klitschko sagte, in der schweren politischen Krise sei möglicherweise "Licht am Ende des Tunnels" zu sehen. Die Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew fordern weiter auch den Rücktritt Janukowitschs und Neuwahlen. In Berlin nannte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Entscheidung Asarows ein richtiges "Signal". "Der Rücktritt (...) könnte den Eintritt in die Suche nach politischen Kompromissen möglich machen", sagte er.

Die Europäische Union und Russland vereinbarten bei einem Besuch von Kremlchef Wladimir Putin in Brüssel, über die Auswirkungen der EU-Ostpartnerschaft zu sprechen. Das Angebot der EU an die Ukraine, ein Assoziierungsabkommen abzuschließen, hatte zu Spannungen mit Moskau geführt. Kiew legte den ausverhandelten Pakt mit der EU im vergangenen November - nach westlicher Einschätzung auf Moskauer Druck hin - auf Eis. Daran entzündeten sich die Proteste der ukrainischen Opposition.

Als die Führung in Kiew Mitte Januar zusätzlich in Russland angewandte Gesetze zur Einschränkung demokratischer Freiheiten ohne Debatte im Parlament übernahm, waren die Proteste in Gewalt umgeschlagen, es gab sogar Tote.

"Wir verstehen die Dinge nicht immer in derselben Weise wie die Europäer", sagte Putin in Brüssel. Gleichzeitig machte er deutlich, dass Russland für den Fall einer politischen Wende in der Ukraine einen im Dezember gewährten 15-Milliarden-Dollar-Kredit für Kiew nicht infrage stellt. "Wir werden das nicht rückgängig machen", sagte er. "Für uns ist bedeutsam, welche Wirtschaftspolitik eine Regierung verfolgt, welche Regierung das auch immer sein mag."

Janukowitsch nahm Asarows Rücktritt an. Das Kabinett bleibt bis zur Bildung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt. Asarows Vollmachten übernimmt dessen Stellvertreter Sergej Arbusow. Verfassungsgemäß treten mit dem Regierungschef auch alle Minister formell zurück.

"Die Opposition sollte den Champagner im Kühlschrank lassen", warnte der Politologe Taras Beresowez. "Alle strittigen Fragen liegen noch vor ihr - die Gefahr des Ausnahmezustands bleibt bestehen", sagte er der Agentur Itar-Tass in Kiew. In der südukrainischen Stadt Cherson starb unterdessen ein Polizist, der bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Miliz Stichverletzungen erlitten hatte. Die genauen Hintergründe waren zunächst unklar.

In Kiew wurde ein Nachfolger für das Amt des Premiers zunächst nicht genannt. Nationalistenführer Oleg Tjagnibok sagte, der Präsident habe von einer Frist von einer Woche gesprochen. Der Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk von der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko hatte am Wochenende ein Angebot der Staatsführung, das Amt des Regierungschefs zu übernehmen, abgelehnt.

Julia Timoschenko sei gegen Verhandlungen der Opposition mit der Regierung, sagte ihre Tochter Jewgenija. "Die Hauptforderung des Volkes ist der Rücktritt des Präsidenten und die Bildung einer Übergangsregierung aus verschiedenen Gruppierungen der Opposition", sagte Jewgenija Timoschenko der Deutschen Presse-Agentur in Kiew.

Asarow war mit seinem Schritt einer Sondersitzung des Parlaments in Kiew zuvorgekommen. Ursprünglich hatten die Abgeordneten über einen neuen Misstrauensantrag gegen die Regierung entscheiden sollen.

Janukowitsch traf sich am Dienstag mit EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle. Als der Präsident die umstrittenen Gesetze unterzeichnet hatte, hatte dies gewaltsame Proteste mit mehreren Toten nach sich gezogen. Nun stimmten 361 von 412 registrierten Abgeordneten für die Annullierung von insgesamt 9 Gesetzen. Die Rücknahme tritt in Kraft, wenn Janukowitsch die entsprechenden Dokumente unterschreibt.

Steinmeier warb gemeinsam mit seinem niederländischen Kollegen Frans Timmermans mit Blick auf die Ukraine für eine enge Abstimmung in der EU. "Natürlich müssen wir über Sanktionen nachdenken. Sie werden nicht zu vermeiden sein, wenn die Lage nicht veränderbar ist. Nur: Man muss das kalkuliert einsetzen", sagte der Bundesaußenminister.

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