Kölner Mob-Attacken: Polizei unter Druck, Merkel empört

Eine Woche nach den Kölner Übergriffen ist noch unklar, was genau in der Silvesternacht geschah. Immer mehr Polizisten widersprechen ihrer Führung. Auch die politische Debatte wird schärfer, die Kanzlerin zeigt sich empört.
von  dpa
Ein Polizist steht in Köln vor dem Hauptbahnhof. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht verstärkt die Polizei die Präsenz am Hauptbahnhof.
Ein Polizist steht in Köln vor dem Hauptbahnhof. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht verstärkt die Polizei die Präsenz am Hauptbahnhof. © dpa

Köln, Berlin -  Angesichts der massiven Übergriffe eines kriminellen Mobs auf Frauen in der Kölner Silvesternacht wird der Ruf nach Konsequenzen für Polizeispitze und Politik lauter. So will Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel eine verstärkte Debatte über die Grundlagen des kulturellen Zusammenlebens in Deutschland - zugleich sei zu prüfen, ob bisher bei der Ausweisung straffälliger Ausländer genug getan worden sei.

Die Kölner Polizeiführung gerät derweil nach neuen Zeugenaussagen auch aus den eigenen Reihen zunehmend unter Druck. Sie muss sich des Vorwurfs erwehren, Informationen nicht frühzeitig veröffentlicht zu haben. Unter anderem geht aus einem nun bekanntgewordenen Einsatzprotokoll eines leitenden Bundespolizisten hervor, dass die Verantwortlichen Ausmaß und Dramatik der Lage in der Kölner Silvesternacht frühzeitig gekannt haben müssen. Der Bundespolizist befürchtete nach eigenen Angaben beim Einsatz am Hauptbahnhof wegen der angespannten Lage, dass das "Chaos noch zu erheblichen Verletzungen wenn nicht sogar zu Toten führen würde".

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Dagegen hatte die Polizei die Stimmung in der Kölner Innenstadt am Neujahrsmorgen als "friedlich" bezeichnet und erst am 2. Januar über die Übergriffe am Bahnhof informiert. Während die Kölner Polizei beteuert hatte, erst nach Mitternacht von den sexuellen Übergriffen auf Frauen erfahren zu haben, heißt es in dem Bericht: Die Bundespolizisten seien bereits am Silvesterabend vor 22.45 Uhr von "vielen aufgewühlten Passanten" über "Schlägereien, Diebstähle, sexuelle Übergriffe" informiert worden.

 

16 Verdächtige ausfindig gemacht

 

Auf der Suche nach Schuldigen kommt die Polizei bisher nur langsam voran: Es seien inzwischen 16 Verdächtige ausfindig gemacht worden. "Wir prüfen nun, ob sie tatsächlich in Zusammenhang mit den Taten stehen", sagte ein Sprecher am Donnerstag. Bis zum Mittag wurden 121 Strafanzeigen gestellt.

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Bei etwa drei Viertel der angezeigten Taten hätten die Opfer angegeben, sexuell bedrängt worden zu sein. In 50 dieser Fälle seien die Frauen zudem bestohlen worden. Bislang wurden zwei Vergewaltigungen angezeigt. Die meisten bisher ausfindig gemachten Verdächtigen seien noch nicht namentlich bekannt, aber auf Bild- oder Videoaufnahmen klar erkennbar, sagte der Polizeisprecher. Einige Verdächtige - alle nordafrikanischer Herkunft - seien vorübergehend festgenommen worden, jedoch vor allem wegen Diebstählen, teils außerhalb von Köln.

 

Frauen umzingelt, begrapscht und bestohlen

 

In der Silvesternacht hatten sich am Kölner Hauptbahnhof nach Angaben der Polizei aus einer Menge von rund 1.000 Männern heraus kleinere Gruppen gelöst, die vor allem Frauen umzingelt, begrapscht und bestohlen haben sollen. Während der Ausschreitungen hätten Frauen Schutz bei der Polizei gesucht, heißt es im internen Einsatzbericht des Bundespolizisten, der am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Sie hätten einen Spießrutenlauf erlebt "durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann". Viele weinende und schockierte Frauen und Mädchen hätten den Beamten von sexuellen Übergriffen berichtet. Auffällig sei die "sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen" gewesen.

Da die Polizei "nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration", heißt es zudem in dem Bericht, der zunächst der "Bild"-Zeitung und dem Magazin "Der Spiegel" vorlag. Wegen der zahlreichen Vorfälle hätten sich die Beamten "auf die Lagebereinigung mit den notwendigsten Maßnahmen" beschränkt. Die Situation sei "chaotisch und beschämend" gewesen.

 

Übergriffe auch in Hamburg

 

Kölns Polizei wollte sich zunächst nicht zu dem Bericht des Bundespolizisten äußern. Im Interview der "Kölnischen Rundschau" sagte der heftig kritisierte Polizeipräsident Wolfgang Albers, er habe "im Verlauf des Neujahrsmorgens Kenntnis" von dem Einsatz erhalten. Es habe sich in der Silvesternacht eine Lage entwickelt, die "überraschend und so nicht vorhersehbar" gewesen sei. Außerdem seien die meisten Vorfälle für die Beamten wegen der Dunkelheit und des Gedränges nicht zu erkennen gewesen. Einen Rücktritt hatte Albers am Mittwoch abgelehnt.

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Auch in Hamburg gab es in der Silvesternacht Übergriffe - Hinweise auf einen Zusammenhang mit Köln sind bisher nicht bekannt. Die Zahl der Anzeigen bei der Hamburger Polizei stieg inzwischen auf 70.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière sieht wachsende Aggressionen in der Gesellschaft mit großer Sorge. "Die Respektlosigkeit gegenüber Polizisten ist ein relativ neues Phänomen. Aber das gibt es nicht erst seit den Ereignissen von Köln", sagte der CDU-Politiker in Potsdam. "Die Respektlosigkeit gegenüber Polizisten und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes insgesamt hat zugenommen in einem Bereich, der mir die allergrößten Sorgen macht."

 

Merkel: "Widerwärtige, kriminelle Taten"

 

Merkel sagte in Berlin: "Was in der Silvesternacht passiert ist, das ist völlig inakzeptabel. Es sind widerwärtige, kriminelle Taten, (...) die Deutschland nicht hinnehmen wird." Wenn sich Frauen ausgeliefert fühlten, sei das auch für sie persönlich unerträglich. Die Flüchtlingsbeauftragte der Regierung, Aydan Özoguz (SPD), zeigte sich erschrocken über die Reaktionen von rechts. "Es alarmiert mich, wie Rechtsextreme die Übergriffe bereits zur Hetze und Stimmungsmache gegen Flüchtlinge nutzen", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Sie warne davor, geflohene Menschen nun unter Generalverdacht zu stellen.

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